Rosa Ribas, geb. 1963 in El Prat de Llobregat, kam nach dem Studium der Hispanistik in Barcelona 1991 nach Deutschland, um die Sprache zu lernen, und lebt seit nunmehr achtzehn Jahren in Frankfurt. Nach der Veröffentlichung ihres historischen Romans El pintor de Flandes (2006) gab sie ihre Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität auf, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. 2007 erschien Entre dos aguas, der erste Roman ihrer Krimireihe um die deutsch-spanische Ermittlerin Cornelia Weber-Tejedor (auf deutsch unter dem Titel Kalter Main bei Suhrkamp), zwei Jahre später der zweite Band Con anuncio (Tödliche Kampagne), der dritte Band ist fertiggestellt. Im Oktober 2010 erscheint ihr neuer Roman La detective miope.
NSB: Ihr erstes Buch ist ein historischer Roman, der im Spanien des Siglo de Oro angesiedelt ist. Dem deutschen Lesepublikum sind Sie aber durch Ihre in Frankfurt spielenden Krimis bekannt. Eine Spanierin, die Frankfurtkrimis schreibt - das ist ungewöhnlich. Wie sind Sie darauf gekommen?
R. R.: Die Krimis spielen in Frankfurt, weil ich hier seit vielen Jahren lebe. Ich glaube, man kann nur über Städte schreiben, die man gut kennt, und da kommen für mich nur zwei Städte in Frage: Frankfurt und Barcelona – und vielleicht noch El Prat. Warum ein Krimi? Weil mir dieses Genre den geeigneten Rahmen und die geeignete Struktur für die Geschichten bietet, die ich erzählen will. Die Grundidee für Kalter Main war die Ermordung eines spanischen Gastarbeiters, und als Rahmen für einen Roman über Immigration und Integration erschien mir ein Krimi lesenswerter als ein Tatsachenroman, bei dem man Gefahr läuft, bei der Schilderung der harten Schicksale der Gastarbeiter in Sozialkitsch zu verfallen.
NSB: Ein zentrales Thema Ihrer Krimis ist die deutsche Gesellschaft: Im ersten Buch stehen die spanischen Gastarbeiter im Mittelpunkt, im zweiten ist es die Frage nach der tatsächlichen Toleranz der Deutschen in einer Stadt mit einer so heterogenen Bevölkerung wie Frankfurt. Glauben Sie, dass Ihr Blick von außen Ihnen eine andere und vielleicht freiere Sichtweise auf die deutsche Gesellschaft ermöglicht?
Ganz bestimmt, denn selbst wenn man seit Jahren hier lebt, bewahrt man den Blick von außen, einen wacheren Blick. Bei meiner Ankunft war ich so naiv und optimistisch zu glauben, man müsse nur lange genug in einem Land leben, um ein Teil davon zu werden, aber dann habe ich die Erfahrung gemacht, dass man bis zu einem gewissen Punkt immer Ausländer bleibt. Man fühlt, dass man als jemand gesehen wird, der nicht von hier ist, und genau darum verliert man nie den Blickpunkt dessen, der nicht von hier ist. Darum ist meine Perspektive vielleicht nicht distanzierter als die eines Deutschen, dem diese Gesellschaft viel selbstverständlicher ist – denn ich will ja keine Distanz wahren –, sondern einfach ein wenig anders. Manchmal fürchte ich, die Deutschen könnten sagen: Wie kommt diese Ausländerin dazu, uns zu kritisieren? Ich will aber gar keine Gesellschaftskritik üben, sondern beschreibe nur, was ich sehe. Und wenn ich in Tödliche Kampagne zu dem Schluss gelange, dass es mit der Toleranz in dieser Gesellschaft doch nicht so weit her ist, wie wir gerne glauben würden, so will ich damit nicht irgendwelche Thesen vertreten, sondern gebe einfach meine Erfahrungen wieder, und meine Protagonistin macht dann die gleiche Erfahrung.
NSB: Glauben Sie, dass Ihre Romane vom deutschen und vom spanischen Publikum unterschiedlich wahrgenommen werden?
R. R.: Selbstverständlich. In meinem ersten Krimi Kalter Main zum Beispiel entdeckte das spanische Publikum einen Teil seiner eigenen jüngsten Geschichte wieder, der bisher literarisch weitgehend vernachlässigt wurde: die Emigration. Jeder hat irgendeinen Verwandten, der nach Europa ausgewandert ist, und doch wird über die Erfahrung der Emigration kaum gesprochen, was eigentlich erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass unzählige Menschen damals das Land verlassen haben und viele von ihnen hier geblieben sind. Außerdem erfährt das spanische Lesepublikum etwas über die in Spanien wenig bekannte deutsche Gesellschaft. Das ist etwas anderes als ein Roman, der z. B. in den USA spielt, die man aus zahllosen Filmen und Büchern zumindest zu kennen glaubt.
Dem deutschen Leser hingegen ist der Schauplatz vertraut, für ihn ist eher mein Blick von außen exotisch. Außerdem sind einige der Figuren, vor allem die Protagonistin und ihre Familie, nicht gerade typisch für deutsche Romane. Natürlich gibt es auch Romane ausländischer Autoren, die in Deutschland spielen, dann aber meist im Berlin der Nazizeit. Ich glaube nicht, dass es viele Romane von nicht-deutschen Autoren über das heutige Deutschland gibt.
Allerdings ist ein Professor in Australien in einem Essay über meine Krimis zu dem erstaunlichen Schluss gelangt, dass sie sowohl formal als auch thematisch auf Spanisch geschriebene deutsche Romane seien. Daraufhin habe ich überlegt, was meine Vorbilder sind, und das waren tatsächlich sowohl deutsche Kriminalromane als auch Krimiserien wie Tatort. Ich weiß nicht, ob es sich tatsächlich um ein deutsches Modell handelt, aber auf jeden Fall ist es eher nordeuropäisch als spanisch.
NSB: Protagonistin Ihrer Krimireihe ist die deutsch-spanische Ermittlerin Cornelia Weber-Tejedor, die nach und nach feststellen muss, dass sie stärker zwischen zwei Kulturen steht als zunächst angenommen. Wie viel Rosa Ribas steckt in Cornelia Weber-Tejedor?
R. R.: Jetzt, mit einigem Abstand, entdecke ich, dass mehr von mir in ihr steckt als ursprünglich gedacht. Anfangs dachte ich, ich hätte Cornelia nur Äußerlichkeiten von mir verliehen, zum Beispiel ihre Liebe zu den Simpsons oder die Tatsache, dass sie Linkshänderin ist. Dann habe ich gemerkt, dass das nicht stimmt. Je »spanischer« Cornelia wird, desto aufmerksamer und distanzierter betrachtet sie ihr Umfeld. Im ersten Roman behauptet sie noch, eine deutsche Kommissarin zu sein, aber dann wird ihr ein Fall gerade deshalb übertragen, weil einige Leute in ihr die Spanierin sehen, die sie nicht sein will. Und da merkt sie, dass man seine eigene Identität nicht einfach selbst bestimmen kann, unabhängig von seiner Umgebung. Im zweiten Roman denkt sie dann aufgrund ihrer Erfahrungen darüber nach, was sie an jeweils »typisch Deutschem« oder »typisch Spanischem« von ihren Eltern übernommen hat, und dabei wird ihr bewusst, dass die Leute im Wissen um ihre Binationalität anders mit ihr umgehen, als wenn sie nur Deutsche wäre. Und genau das ist auch meine Erfahrung: Wenn die Leute erfahren, dass ich aus Spanien oder Barcelona komme, weckt das bestimmte Erwartungshaltungen, die ich dann bestätige oder widerlege. Und all diese Erfahrungen – Ausländerin zu sein, als Spanisch schreibende Katalanin in gewisser Weise binational zu sein sowie meine Erfahrung mit dem Leben in Frankfurt – sind unbewusst und ungewollt in Cornelia eingeflossen. Und wenn man dann seinen Roman ein Jahr später wieder liest, denkt man: »He, das bin ja ich!«
NSB: Sie leben seit mittlerweile 19 Jahren in Deutschland, und sicher hat sich Ihr Deutschlandbild verändert. Was würden Sie einem Besucher aus Spanien raten, der das erste Mal mit der deutschen Kultur in Berührung kommt?
R. R.: Ich habe zu viele unterschiedliche Erfahrungen mit zu viel verschiedenen Leuten gemacht, um noch eine dieser Listen mit Ratschlägen erstellen zu können, wie man sie oft in Reiseführern findet, wie z. B. »In Deutschland sollte man die Leute nicht gleich duzen« oder »Die Deutschen laden einen nicht so schnell zu sich nach Hause sein, aber wenn sie es tun, ist das ein Zeichen echter Freundschaft«. Aber einer der größten – und für Spanier vielleicht am schwersten zu verstehenden – Unterschiede sind sicherlich die unterschiedlichen Höflichkeitsformen im persönlichen Umgang miteinander. Die Deutschen sind sehr direkt, sie haben nicht unsere blumige, indirekte Ausdrucksweise, die ihnen vielleicht manchmal verlogen erscheint, weil wir die Dinge nicht beim Namen nennen. Aber eben diese Direktheit brüskiert uns wiederum, weil wir nicht verstehen, dass sie ein Zeichen des Respekts ist. Bei uns gibt es Jas, die in Wirklichkeit Neins sind und die man aus dem Kontext erkennen muss. Inzwischen schätze ich das direkte deutsche »Nein« sehr, aber anfangs hat es mich tief getroffen, und ich habe mich oft abgelehnt gefühlt, wenn die Leute mir durch ihre Offenheit doch gerade ihren Respekt und ihr Interesse bekunden wollten.
Und mein zweiter Rat wäre vielleicht, die deutsche Pünktlichkeit zu achten. Die gilt zwar auch nicht mehr für alle Deutschen, aber ich glaube, es gibt sie immer noch.