Kurzzusammenfassung
Die Polizistin Michela versucht, einem reichen Russen das vergoldete Feuerzeug der legendären Kray-Zwillinge abzujagen; früher gehörte es ihrem Vater, einem in Benidorm gestrandeten, in kriminelle Kreise abgerutschten Upper-Class-Engländer.
Atmosphärischer, minimalistisch konstruierter Noir mit rasch und prägnant skizzierten Figuren, konzisen Dialogen, illusionsloser Poesie.
Inhalt
Touristenhochburg, nahe Vergangenheit (alle haben Handys; keine Spur von der Pandemie).
Michela McKay zieht durch Benidorm, klappert ihre Kontakte ab, schmiedet Pläne: Drei reiche Russen, die Kaminski-Brüder, haben eine 50-Zimmer-Villa gekauft, und einer von ihnen besitzt den ehemaligen Glücksbringer ihres Vaters – das vergoldete Feuerzeug des Londoner 60er-Jahre-Gangsters Reggie Kray. Ihr Vater, Kyle, von dem sie noch nicht mal die Handynummer hat, ist angeblich wieder in der Stadt. Michela schleust einen ihrer Informanten auf das Fest, damit er das Feuerzeug für sie stiehlt.
Auch sonst hat sie's nicht so mit Recht und Gesetz, arrangiert illegale Jet-Ski-Rennen, greift zu Entführung und Erpressung, um sich das begehrte Objekt zu sichern. Zur Polizei gekommen ist sie auf Betreiben einer Bande aus Leeds, der sie Drogen durch den Zoll schmuggeln hilft.
Michelas Lover Martin wird ihr rasch untreu, und ihr Komplize Oliver kocht ebenso sein eigenes Süppchen wie sie selbst, die sich eigentlich nur dem hoffnungslos abwesenden Vater verpflichtet fühlt, alkoholisiert wie er und mit einem Rest beträchtlicher Energie: Spanish Beauty ist nicht nur ein Krimi, sondern auch beiläufiges Psychogramm und Abgesang auf eine von Kindheit an verlassene Hauptfigur, die hell brennend ins Nichts geht.
Titel
Eine Nebenfigur erzählt Michela, ihr Vater habe neulich von ihrer Mutter gesprochen, davon, dass sie "eine spanische Schönheit war. Wie du." (65) Der Sprecher ist ein Landsmann von Kyle, nach vierzig Jahren in Benidorm des Spanischen noch immer nicht mächtig, zweifellos redet er Englisch mit ihr: Die markante Anwesenheit von Ausländern in der Stadt schlägt auf den Titel durch.
Außerdem lässt er an American Beauty denken, was vermutlich billigend in Kauf genommen wird, und markiert das Buch in Spanien als 'internationale Literatur'.
Sprache und Stil
Erzählt wird über weite Strecken im Präsens, die schlaglichtartigen Beschreibungen des Küstenorts wie auch die Handlung selbst. Einige einmontierte Rückblenden (Splitter von Vorgeschichte) stehen im Präteritum.
Das kurze Buch mit seinen kurzen Kapiteln enthält nichts Überflüssiges, dafür eine Vielzahl von Puzzlestücken, deren Stimmigkeit man bei der ersten Lektüre spürt, bei der zweiten zusammensetzt. Die Erzählhaltung ist auf interessante Weise distanziert. Immer wieder steht für einige Sätze Benidorm im Zentrum des Textes, eine Stadt, deren strange Atmosphäre in teils scharfkantigen, teils poetischen Bildern eingefangen wird – wo etwa "die Lichter der Wolkenkratzer angehen wie die Equalizer an einem Mischpult: In Benidorm ist überall Musik." (76)
Die Rhetorik stützt die Merkwürdigkeiten von Personen und Umgebung mit Assonanzen und Wiederholungsfiguren, stark verknappt durch Ellipsen, die auch auf Ebene des Plots dominieren (die erwähnten Puzzlestücke). Weitere Verbindungen entstehen durch subtile motivische Arbeit, etwa eine eindrückliche Parallelszene aus Michelas Kindheit und zwischen ihr und Oliver, bei der brennende Servietten, auf denen Träume notiert waren, durch die Luft schweben. Beide bekommen Grübchen auf der linken Wange, wenn sie ausnahmsweise lächeln. Martin summt nach dem Sex die Titelmelodie von The Wire, und nicht nur er ...
So entstehen fließende Übergänge zwischen einer großen Distanz zur Geschichte und einer großen Nähe zu den Figuren mit ihren knappen, slanghaltigen Dialogen und Gedanken.
"Das Meer bei Tag und das Meer bei Nacht. Der fantafarbene Himmel bei Tag und die Milchstraße, Venus, die Sternbilder wie Autobahnschleifen und Karten verlorener Straßen gegen das tiefere Schwarz, am frühen Morgen. Draußen auf dem Meer, etwa drei Kilometer vor der Küste, sieht man kaum etwas von Benidorm, nur das eine oder andere Licht an den höchsten Wolkenkratzern, ein Funkeln, das auftaucht und wieder verschwindet hinter den katzenhaften, langsamen Wellen, diese verstohlene Jagd. Das Rennen ist erst seit wenigen Minuten vorbei, und sie haben die Motoren schon ausgeschaltet." (19)
Bewertung und Empfehlung
Nach den spannenden, aber nicht leicht einzuordnenden Momentaufnahmen der "Trilogía instantánea de Madrid" (deren Teile II und III – Sánchez und Gordo de feria – ich bereits für New Spanish Books begutachten durfte) geht Esther García Llovet mit ihrem neuen Roman in Richtung Krimi. Spanish Beauty ist ein stilistisch und perspektivisch origineller Noir, fragmentarisch erzählt, aber mit einer klaren Linie und einer stimmigen Auflösung.
Ich finde das Buch nicht ganz so augenaufreißend überraschend wie die vorangegangenen, aber wesentlich runder und immer noch stilistisch sehr reizvoll. Klare Empfehlung.
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