Die Literaturagentin Michi Strausfeld über ihre Arbeit
Michi Strausfeld ist die wohl bedeutendste Agentin für spanischsprachige Literatur in Deutschland. Mit Stationen in Bogotá, Madrid, Paris und Barcelona, hat sie über hundert spanischsprachige Autoren nach Deutschland gebracht – so unter anderem die Nobelpreisträger Octavio Paz und Mario Vargas Llosa oder Erfolgsschriftsteller wie Isabel Allende oder Carlos Ruíz Zafón. Nach vielen Jahren bei Suhrkamp verließ sie den Verlag 2008 und arbeitet seitdem als literarische Agentin für den Fischer-Verlag.
New Spanish Books: Frau Strausfeld, eine einfache und zugleich ganz große Frage: Wie wurden Sie, was Sie sind?
Michi Strausfeld: Das ist schwer zu sagen. Wie immer ein Zufall oder sonst etwas. Ich bekam ein Stipendium als Studentin nach Peru. Und dort entdeckte ich, dass es einen literarisch unbekannten Kontinent gibt mit großartigen Texten, die keiner kannte, und die an der Universität auch nicht gelehrt wurden. Da dachte ich, das ist Neuland und macht Spaß. Und so habe ich angefangen, mich für die Literatur zu interessieren und dann auch meine Dissertation darüber zu schreiben, nämlich über den „Neuen Roman Lateinamerikas und ein Modell: Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Márquez“. Damals dachte ich daran, Professorin an einer deutschen Universität zu werden. Doch es kam anders: Siegfried Unseld trat in Kontakt zu mir und warb mich für den Suhrkamp-Verlag an. Rückblickend muss ich sagen, dass das ein Riesenglück war. Denn die Arbeit dort wie auch die, die ich jetzt mache, macht mir bis heute ungeheuren Spaß.
Sie sind „Scout“ für Literatur aus Spanien und Lateinamerika, gelegentlich auch aus Brasilien. Da kommen eine ganze Menge Länder zusammen. Wie halten Sie sich über das literarische Geschehen auf dem Laufenden?
Nach so vielen Jahren, die ich jetzt im Geschäft bin, habe ich natürlich schöne Netzwerke aufgebaut in den einzelnen Ländern. Über sie erhalte ich viele Informationen, gelegentlich fast schon zu viele. Die Agenturen kennen mich, sie wissen, was ich gemacht habe, und so ist ein reger Informationsfluss entstanden. Die Nachrichten muss ich dann natürlich filtern und das heraussuchen, was mir interessant scheint. Außerdem ist nach wie vor der Gang durch die Buchhandlungen wichtig. Auf einige Bücher stoße ich nämlich immer noch per Zufall, in irgendeiner spanischen oder lateinamerikanischen Buchhandlung. Ein Titel fällt mir auf, es gibt vielleicht eine vage Assoziation, ich lese ein bisschen, kaufe das Buch – und gelegentlich kommt es zur einen oder anderen großartigen Überraschung, so etwa bei Carlos Ruiz Zafón, „Der Schatten des Windes“, oder jetzt kürzlich Yuri Herrera, „Abgesang des Königs“.
Was bedeutet es für spanische oder lateinamerikanische Schriftsteller, auf dem deutschen Markt vertreten zu sein?
Das ist für sie ein ganz wichtiger Markt. Deutschland ist unverändert eine der großen Buchnationen, Verkäufe in Deutschland können das Budget eines Autors daher beträchtlich erweitern. Frankreich und Deutschland sind die für Lateinamerikaner wichtigsten und beliebtesten Märkte. Außerdem wissen sie, dass die Verlage in England und in den USA kaum übersetzen. Dieser englische Markt würde sie natürlich wahnsinnig interessieren, aber es gelingt nur wenigen, hier publiziert zu werden. Italien ist ebenfalls spannend. Danach folgen Holland und die skandinavischen Länder.
Wie beurteilen Sie, ob ein Buch auf dem deutschen Markt Erfolg haben könnte? Was sind Ihre Kriterien?
Das ist sehr schwer zu sagen. Als erstes muss beim Lesen Begeisterung aufkommen. Der Text muss mich ansprechen, das Gefühl in mir wecken, dass ich sage, das ist ja ein großartiges oder wunderbares Buch oder ein spannendes Thema oder literarisch etwas völlig Neues. Es gibt verschiedene Dinge, die da zusammenwirken. Aber Faszination beim Lesen ist das Wichtigste. Denn es ist ausgesprochen schwierig, neue Autoren in Deutschland bekannt zu machen. Eigentlich war es das immer, mit Ausnahme der Zeit von der Mitte der 80er bis zur Mitte der 90er Jahre. Das bedeutet, dass man zunächst selber an das Buch und den Autor glauben muss, denn sonst ist es schwierig, dafür Begeisterung im Verlag, bei der Presse, im Buchhandel zu wecken. Insofern kann ich sagen, hinter jedem Buch stehe ich ganz persönlich, aus irgendeinem Grunde hat es mich begeistert.
Wenn wir einmal nach Spanien schauen: Wie würden Sie die aktuelle Situation der dortigen Literatur beschreiben? Welche Themen und Tendenzen gibt es? Kann man noch von einer spezifisch spanischen Literatur sprechen? Oder sehen Sie im Prozess der Globalisierung Annäherungsphänomene an andere Nationalliteraturen?
Derzeit setzen sich viele Autoren intensiv mit dem Bürgerkrieg auseinander. Das ist sehr begrüßenswert, da so auch die Seite der „Verlierer“ in den Vordergrund tritt. Die Politik hat dieses Thema ja gerne vergessen, ebenso wie sie die 40 Jahre der Franco-Diktatur ausklammert. In der Politik scheint man anzunehmen, das Thema würde sich von allein regeln. Zudem ist die spanische Gesellschaft in dieser Hinsicht etwas schwerfällig. Erst in der letzten Zeit ist Bewegung in die Sache gekommen – durch die ausgehobenen Gräber der Republikaner, die Debatte um die von Franco errichtete Gedenkstätte Valle de los Caídos, das „Tal der Gefallenen“. Die gesamte Problematik ist seit Beginn der Demokratie in der spanischen Politik und Gesellschaft relativ wenig beachtet worden. Dass die Literaturen das Thema aufgreifen, finde ich wichtig. Denn nur eine Beschäftigung mit der Vergangenheit kann vielleicht dazu beitragen, nicht die gleichen Fehler zu wiederholen. Das würde ich schon als eines der Hauptthemen ansehen.
Und dann natürlich gibt es das Thema „Barcelona“. Der große Erfolg von Carlos Ruiz Zafóns Roman „Der Schatten des Windes“ hat eine Vielzahl von Epigonen dazu gebracht, ebenfalls Romane über die Stadt zu schreiben. Vor Zafón hat natürlich schon Eduardo Mendoza mit der „Stadt der Wunder“ und vielen anderen Büchern seine Heimatstadt thematisiert. Insofern gibt es eine Vielfalt von Büchern über die Stadt und ihre Geschichte. Über Madrid hingegen gibt es deutlich weniger, aber Madrid ist natürlich auch eine viel jüngere Stadt. Auch über andere Städte habe ich nicht so viel wahrgenommen. Auch für Kriminalromane gibt die Stadt oft die Kulisse ab.
Aber auch soziale und ökonomische Themen treten nun in den Vordergrund, etwa die Auswirkungen der Finanzkrise.
Ja, das neue Prekariat wird zum Thema, die so genannten „mil-euristas“, also die vielen Menschen und Jugendlichen, die maximal 1000 Euro verdienen, wenn überhaupt, und davon 600 Euro Miete zahlen sollen. Das Thema wird uns in Zukunft beschäftigen, davon gehe ich aus. Aber vermutlich braucht man auch da noch ein bisschen Distanz, bis es richtig zum Tragen kommt.
Dieses Thema wird auch in anderen europäischen Ländern aufgegriffen. Würden Sie darum von einer Europäisierung der spanischen Literatur sprechen?
Ich glaube, die jungen Autoren bringen unverändert ihre landesspezifischen Besonderheiten mit. Aber natürlich ist das Thema länderübergreifend. Die Probleme in Europa ähneln sich. Wenn man also eine vergleichende Lektüre betreibt, kann man in der Tat Ähnlichkeiten zwischen einem französischen, einem italienischen, einem spanischen Autor feststellen. Denn die Gesellschaften gleichen sich immer stärker an – Designerboutiquen zum Beispiel gibt es ja in allen Städten, dazu Facebook et alia. Vieles wird nivelliert. Dennoch glaube ich, dass jedes Land einen gewissen Teil seiner Eigentümlichkeiten mit in die Literatur transportiert. Das hängt natürlich mit der Frage zusammen, wo, wann und wie man aufgewachsen ist. Ob man in der DDR groß geworden ist oder in den ersten Jahren nach Francos Tod, in den Jahren des Überschwangs, aber auch dem Versuch, viele Phänomene dieser Zeit zu vertuschen oder zu verschweigen: Solche Erfahrungen fließen natürlich in die Romane ein – und sie bescheren jeder nationalen Literatur ihren eigenen Charakter.
Den Mann hielt es kaum auf dem Stuhl. Aus der Hüfte nahm er Schwung und reckte sich nach vorn, den linken Arm gerade durchgedrückt...
WEITER
Martina Streble ist Gründerin des noch jungen Verlags „Edition Helden“, der auf Kindercomics spezialisiert ist. Frau Streble, Sie haben im Jahr 2022 einen Verlag für Kindercomics...
WEITER
Themenbereich
Bienvenidos a Nuevos Libros en Español. Aquí te presentamos títulos españoles actuales por los que...