1) Wie schätzen Sie die derzeitige Situation der spanischsprachigen Literatur und ihre Aufnahme im deutschen Sprachraum ein?
Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich habe irgendwie den Eindruck, dass es vor 10, 15 Jahren nicht ungewöhnlich war, in den Schaufenstern der Buchhandlungen, den Kulturprogrammen des deutschen Fernsehens und den deutschen Bestsellerlisten auf Bücher spanischer Autoren zu stoßen. Vielleicht kaufen die Deutschen, die sich für spanische Literatur interessieren, die Bücher nun im Internet, mit der Folge, dass Bücher spanischer Autoren weniger häufig in den Buchhandlungen zu sehen sind. Ich bin mir da nicht sicher. Was die spanische Gegenwartsliteratur betrifft, kann meine Meinung zwangsläufig nur bruchstückhafter Natur sein, denn ich bin nicht in der Lage, alles, was veröffentlicht wird, zu lesen, noch nicht einmal einen ausreichenden Teil, um mir eine zuverlässige Meinung zu bilden. Nichtsdestotrotz fällt mir eine stattliche Anzahl richtig guter Gegenwartsautoren ein, unabhängig davon, ob sie auch außerhalb Spaniens bekannt sind. Zumindest die Prosa, das Genre, bei dem ich mich am besten auskenne, ist momentan wirklich vielversprechend.
2) Sie leben in Deutschland, also nicht im Umfeld der spanischen Literatur. Uns würde interessieren, welchen Einfluss dieser Umstand auf die Thematik ihrer Werke und den literarischen Schaffensprozess hat.
In Deutschland zu leben bestimmt den Blickwinkel, von dem aus ich das Geschehen in meinem Heimatland beobachte. Seit einiger Zeit handelt es sich dabei nicht um einen Blick aus der Ferne (glücklicherweise steht dem das Internet entgegen), sondern um einen Panoramablick. Mir fehlen die Stimmen von der Straße, der Zugang zu Gerüchten, der direkte Kontakt zur alltäglichen Wirklichkeit vor Ort. Stattdessen verfüge ich aber über interessante Vergleichspunkte und eine vielleicht gelassenere, reflektierendere Sichtweise, als wenn ich mich, um es einmal so auszudrücken, mitten im Geschehen befinden würde. Ich bin ständig versucht, Vergleiche zwischen dem, was man in Spanien sagt und tut, und dem, was man in Deutschland sagt und tut, anzustellen. Und dadurch habe ich Erkenntnisse gewonnen und Dinge gelernt, die mir wahrscheinlich niemals bewusst geworden wären, wenn ich weiter dort gelebt hätte, wo ich geboren bin. Deutschland ist in meiner Literatur präsent (nicht so sehr wie in meinen journalistischen Beiträgen), aber Spanien bleibt die Hauptbühne meiner Romane und Kurzgeschichten. Man merkt, dass ich mich noch nicht ganz abnabeln konnte. Oder aber, dass die politische und soziale Wirklichkeit in Spanien für mein Schreiben inspirierender ist als die deutsche.
3) Erzählen Sie uns bitte, welche Rolle Ihre journalistische Tätigkeit für Ihr kreatives Schaffen spielt und wie sich beide Genres, Roman und Zeitungsartikel, gegenseitig befruchten (Ihr Werk zeichnet sich ja u.a. durch die regelmäßige Verwendung von Interviews als Stilmittel und durch gelegentliche Anmerkungen, die dem Leser das Gerüst des Romans verdeutlichen, aus).
Die journalistische Tätigkeit ist für mich vor allem wirtschaftlich einträglich. Ich widme mich ihr, neben dem finanziellen Aspekt, aus verschiedenen Gründen gerne. Zum einen ermuntert sie zu einer Art des Schreibens dicht an der Aktualität. Zum anderen erlaubt sie mir eine regelmäßige, wenn auch bescheidene, Präsenz in der spanischen Presse, sowohl der politischen als auch der kulturellen. Hauptsächlich fühle ich mich weiterhin zum literarischen Schreiben berufen. Der Journalismus ist eine Ergänzung. Beides sind schreibende Tätigkeiten und es wäre ungewöhnlich, wenn sie nicht interagieren würden, allerdings ist mir bei weitem nicht klar, in welchem Maße dies geschieht.
4) Wir wissen, dass Sie bei Twitter sehr aktiv sind. Kann man sagen, dass Sie die Kommunikation in den sozialen Netzwerken als inhaltliche Inspiration für Ihr literarisches Werk nutzen, oder ist sie lediglich eine Quelle von vielen für die journalistische Kommunikation?
Ich bin eigentlich nur bei Twitter und Facebook aktiv. Die sozialen Netzwerke bringen mir eine Reihe von Vorteilen, ich bin mir aber bewusst, dass sie ein gefährlicher Zeitfresser sind. Ich gestehe, dass meine Präsenz in ihnen auch einen gewissen Spaßfaktor hat. Der Hauptgrund für meine Teilnahme ist allerdings, dass ich sie als einen Verstärker für meine schreibenden Tätigkeiten sehe. Die sozialen Netzwerke sind ein probates Mittel, um Entfernungen aufzuheben. Zusätzlich erlauben sie mir, Kontakte zu anderen Kollegen zu knüpfen. Mehr als einmal habe ich über Twitter eine Anfrage für eine journalistische Zusammenarbeit erhalten. Die sozialen Netzwerke sind kein Informationsmedium, sie lenken aber die Aufmerksamkeit auf bestimmte Inhalte. Für mich sind sie also nützlich. Ansonsten wäre ich nicht dabei.
5) Als Beobachter des Marktes sind wir, die Organisatoren des Projektes New Spanish Books, der Meinung, dass der Anteil der ins Deutsche übersetzten zeitgenössischen spanischen Werke sehr gering ist, insbesondere im Vergleich zu anderen Sprachen, wie Holländisch, Französisch oder Schwedisch, von Englisch ganz zu schweigen. Was könnte Ihrer Meinung nach der Grund hierfür sein, zumal es enge Bande zwischen den Deutschen und Spanien gibt?
Ich versetze mich in die Haut des deutschen Verlegers. Wenn eine Regierungsinstitution aus Holland, Frankreich oder Schweden mir die Übersetzung von Büchern von Autoren aus diesen Ländern finanziert, veröffentliche ich sie zu Lasten anderer ausländischer Schriftsteller, bei denen die Übersetzungen für mich teurer wären. Spanien scheint mir bei diesem Spiel derzeit schlechte Karten zu haben.
6) Sie sind erst als Erwachsener nach Deutschland gekommen und kennen beide Welten gut. Wir möchten Ihnen daher die persönliche Frage stellen, was Sie am Leben in Deutschland am meisten schätzen und was von Spanien Sie in Ihrem hiesigen Leben am meisten vermissen.
Für einen Mann wie mich, der ein geregeltes Leben führt, ist Deutschland ein passendes Land. Ich bin nicht rund um die Uhr einem hohen Lärmpegel ausgesetzt. Die Leute sind respektvoll oder zumindest wenig vereinnahmend. Es herrscht (ich klopfe auf Holz) ziemliche soziale Ruhe. Die Post funktioniert hervorragend. Hitzewellen, die die Arbeit erschweren, gibt es kaum. Die Kälte im Winter ist der Zurückgezogenheit förderlich, wovon das literarische Schaffen profitiert. Von Spanien vermisse ich das Licht, den Geruch des Meeres, die Buchhandlungen, frische Feigen, Apfelwein und die Gespräche mit Freunden.
Den Mann hielt es kaum auf dem Stuhl. Aus der Hüfte nahm er Schwung und reckte sich nach vorn, den linken Arm gerade durchgedrückt...
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Martina Streble ist Gründerin des noch jungen Verlags „Edition Helden“, der auf Kindercomics spezialisiert ist. Frau Streble, Sie haben im Jahr 2022 einen Verlag für Kindercomics...
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