Prof. Dr. Óscar Loureda, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Hispanistenverbands leitet das Iberoamerika-Zentrum der Universität Heidelberg und seit 2010 ebenfalls das Seminar für Übersetzen und Dolmetschen dieser Universität. Seine Forschungen konzentrieren sich auf das Gebiet der theoretischen, deskriptiven und angewandten Linguistik, insbesondere auf die Textanalyse, zu der er zahlreiche Aufsätze publizierte.
Herr Prof. Loureda, erfreut sich die spanische Sprache gegenwärtig bester Gesundheit aus Ihrer akademischen Perspektive?
- Die spanische Sprache durchlebt eine Phase des kontinuierlichen Wachstums und ständiger Expansion aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln wie Kultur, Gesellschafts-politik, Demographie und Wirtschaft. In der digitalen Welt determiniert die spanische Sprache zunehmend. Dieser Aufschwung ist im internationalen Umfeld jenseits der Grenzen der spanischsprachigen Welt deutlich erkennbar und führte dazu, dass 5% der Weltbevölkerung Spanisch in größerem oder geringerem Ausmaß als Kommunikations-sprache nutzen. Als Beispiel werden häufig die Vereinigten Staaten genannt, in denen die Anzahl der Spanischsprecher 50 Millionen übersteigt oder Brasilien, ein Land, in dem das Spanische eine privilegierte Stellung im Bildungswesen einnimmt, aber auch die Wachstumsindikatoren in Mittel- und Osteuropa oder in Asien sind positiv. Dieser Impuls bewirkt, dass die spanische Sprache eine vorteilhafte Position in dem aktuellen Kontext der linguistischen Globalisierung einnimmt, in einer Welt, in der 96% der Bevölkerung sich mit knapp 4% der Sprachen verständigt und in der die zehn Sprachen mit den meisten Sprechern mehr als 4,3 Milliarden Menschen eine Verständigung ermöglichen.
- Worin liegt der Schlüssel für diesen Aufschwung?
- Es ist schwierig, die unterschiedlichen Variablen in wenigen Worten zusammenzufassen, ich glaube aber, dass einer der Schlüssel in der Verbindung zweier Tatsachen zur spanischen Sprache liegt, die nicht immer einstimmig gegeben sind. Ich beziehe mich einerseits auf das kulturelle, demographische und gesellschaftspolitische Gewicht in internationalen Kreisen, ein Gewicht, das der Sprache eine relativ solide strukturelle Einheit verleiht, besonders in Bezug auf die gehobene Sprache und andererseits auf das Bewusstsein, dass Sprache, Kultur und Gesellschaft der spanischen Welt eine reiche interne Varietät bieten.
- Wir würden gerne wissen, wie Sie aus Ihrer akademischen Perspektive das aktuelle Interesse der deutschen Studenten für die spanische Sprache und Kultur beurteilen. Kann von einer allgemein gestiegenen Nachfrage in den letzten Jahren gesprochen werden?
- Das wachsende Interesse an Spanisch in Deutschland geht einher mit dem Aufschwung des Spanischen weltweit und ist klar mit dem Bewusstsein verbunden, dass die spanische Sprache und Kultur ein globaler Akteur ist, der ein reichhaltiges Kulturuniversum vereint. Die aktuellen Daten zeigen uns, dass sich ungefähr 650.000 Deutsche redegewandt in Spanisch ausdrücken und sich etwa 2,7 Millionen relativ fließend in unserer Sprache verständigen können. Bei der Lehre zeigen die Zahlen ein nachhaltiges Wachstum: In den letzten Jahren hat sich die Anzahl der Spanischlernenden verdoppelt. In Deutschland festigt sich die spanische Sprache als dritte ausländische Sprache in der Sekundarstufe nach Englisch und Französisch. Obwohl sie eine ungünstigere Tradition aufweist, ist Spanisch die zweite Sprache bei der Berufsausbildung und die dritte an den Volkshochschulen nach Deutsch und Englisch. Die Anzahl der Studenten des Instituto Cervantes hat sich im letzten Jahrzehnt um 2,5 multipliziert und an den Universitäten kombinieren immer mehr Studenten ihre Studien mit Spanisch. Das führte nicht in nicht wenigen Fällen zu Umstrukturierungen bei der Belegschaft und dem akademischen Angebot zur Neuorientierung an der iberoromanischen Welt. Die Jugend der neuen Sprecher veränderte ansonsten das Profil der spanischen Sprache in Deutschland substantiell und trug dadurch indirekt in großem Umfang dazu bei, eine positive Identität der Kultur zu schaffen, die eine Seite des Atlantiks mit der anderen verbindet. Heute ist Spanisch in Deutschland zweifellos im Aufschwung.
- Wir würden gerne etwas über die Relevanz der Studien für Übersetzen und Dolmetschen innerhalb des breiten Spektrums der unterschiedlichen Universitätsstudiengänge zu spanischer Sprache und Kultur erfahren. Gibt es viele deutsche Fakultäten, die dieses Spezialgebiet anbieten?
- Traditionell gab es die Universitätsstudien zum Thema Spanisch auf den Gebieten der romanischen Philologie im kontrastiven Sinn und den Studiengängen für Übersetzen/Dolmetschen. An unterschiedlichen deutschen Universitäten trennten sich diese Studien. Es entwickelten sich besondere Studien über Iberoamerika, dessen Sprache, Literatur und Kultur –im weitesten Sinne, einschließlich dessen Geschichte, Kunstgeschichte, Soziologie oder z. B. dessen wirtschaftlicher oder politischer Organisation. An zahlreichen deutschen Universitäten gibt es spezifische Zentren für Iberoamerikanische Studien, in denen eigene Studien und Forschungen entwickelt werden. Diese haben in vielen Fällen Vorreiterfunktion und stehen in engem Kontakt mit spanischsprachigen Netzwerken. In dem besonderen Fall der Übersetzung können die deutschen Studenten diese Studien bei ungefähr mehr als zwanzig Hochschulen absolvieren. Etwas weniger als die Hälfte von ihnen sind Universitäten mit einer langen Geschichte, wie Heidelberg, an denen die Studenten eine integrierte Grundausbildung und spezialisierte Ausbildung sowohl im Übersetzen als auch im Dolmetschen erhalten.
- Gibt es Seminare, Lehrstühle oder spezifische Studiengänge für Literaturübersetzung?
- Manchmal liegt die literarische Übersetzung jenseits der reinen Bezeichnung der Lehrstühle, weil durch die Tradition der deutschen Universitäten das Studiengebiet jedes Lehrstuhls sehr weit gefasst ist. Die Lehrstühle haben tendenziell ein sehr allgemeines Profil und verbinden so unterschiedliche Übersetzungsgebiete wie Literatur- und Technikübersetzen. Mitunter müssen sie darüber hinaus forschen und die Lehre von zwei oder mehr Sprachen leiten. An jedem Lehrstuhl gibt es Professoren mit eigenen Interessen, deren Hauptaktivität auf dem Gebiet der Literaturübersetzung, hauptsächlich als philologische und linguistische Analyse je nach eigener Technik, liegt. Im Allgemeinen gibt es keine Universität, die spanische Sprachkurse anbietet, ohne dass auch besondere Seminare und Übungen für Literaturübersetzung auf dem Programm stehen. In einigen Fällen wie in München, Düsseldorf oder Münster wurden sogar strategische Orientierungen innerhalb von Postgraduierten-Studiengängen oder Studiengängen, die sich dieser Aktivität komplett widmen, entwickelt.
- Gibt es wie in anderen universitären Bereichen institutionelle Verbindungen zwischen Ihrem Lehrstuhl und dem Berufsstand der Übersetzer? Wir würden gerne Ihre Meinung zu dem deutschen Berufspanorama bei der Übersetzung ins Spanische, insbesondere der Literaturübersetzung erfahren.
- Der Kontakt mit dem außeruniversitären Umfeld ist grundlegend und erfolgt glücklicherweise ständig in der Realität, weil die heutigen Studenten in der Mehrheit die Fachkräfte von Morgen sind. Im Vergleich dazu konzentriert sich nur eine Minderheit auf die Forschung. An der Universität Heidelberg findet ein kontinuierlicher Dialog beispielsweise mit Institutionen wie dem VDÜ (Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke) und dem BDÜ (Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer) statt. Die Berufsverbände finden bei uns eine Plattform für einen Dialog mit den Studenten, der uns gegenseitig bereichert. In jedem Semester bieten wir Kurse der Studienpläne und Spezialkurse in Zusammenarbeit mit diesen Organisationen an und immer einige mit dem Schwerpunkt des Literaturübersetzens, die in Zusammenarbeit mit anderen spanischen Universitäten organisiert werden.
- Die Statistik des Verlagswesens zeigt, dass die Anzahl der in spanischer Sprache veröffentlichten Titel (567 im Jahr 2011, von denen 498 von spanischen Verlagen stammen), die in die deutsche Sprache übersetzt wurden deutlich höher ist als die der in Deutschland aus dem Spanischen übersetzen Bücher (169 im Jahr 2011). Was ist Ihrer Ansicht nach der Grund für diese Divergenz beim Kulturaustausch zwischen Spanien und Deutschland in der Welt des Buches?
- Deutschland ist eines der Länder der Welt, in dem die meisten Übersetzungen veröffentlicht werden. Diese Übersetzungen gelangen auf einen sehr heterogenen Binnenmarkt. Durch seine zentrale geographische Lage als Wegkreuzung verschiedener linguistischer Familien und die Vielfalt des Buchmarktes wird in Deutschland die Übersetzung als Bildungsinstrument einer internationalen literarischen Gemeinschaft aufgefasst. In dieser ist die Bedeutung des Spanischen, mit knapp 2% der Übersetzungen ins Deutsche, tatsächlich geringer als die der „globalen“ Sprachen wie Englisch, der prestigereichen naheliegenden Sprachen wie Französisch oder Italienisch oder der „neuen“ Sprachen wie Japanisch. Wie ich zuvor andeutete, muss berücksichtigt werden, dass Spanisch jenseits konkreter Gebiete wie der Universität und Wissenschaft in Deutschland keine „ausgedehnte“ kulturelle Tradition besitzt, die sich bereits seit Jahrzehnten in der soliden Basis der Schulausbildung gefestigt hat. Diese Veränderung erfolgte erst in letzter Zeit und zusammen mit einem jungen Publikum, das darüber hinaus einen konkreten Markt bildet. Umgekehrt hat Deutsch eine größere Tradition in Spanien als prestigereiche Sprache, als Sprache für universelle Kultur und Literatur. Dieser Aspekt und die längere Tradition der beruflichen und wissenschaftlichen Ausbildung des Übersetzers führte nach und nach zu einer Marktöffnung in Spanien für die deutsche Sprache und Kultur.
- Das von ICEX entwickelte Programm mit der Kampagne “New Spanish Books”, das es in Deutschland seit 2009 gibt, verfolgt das Ziel, für den Verkauf von Verlagsrechten nach Deutschland zu werben, indem der Kauf und die anschließende Übersetzung gefördert werden. Dies geschieht durch eine Empfehlung, die ein Gremium deutscher Experten ausgehend von den Neuerscheinungen der spanischen Verlagswelt ausspricht. Hätten Sie einen zusätzlichen Vorschlag, um die Veröffentlichung spanischer Titel in Deutschland zu fördern, abgesehen von dem bekannten Instrument der Subvention von Übersetzungen?
- Das Programm ist beispielhaft und weist genau auf die Lösung der aufgezeigten Defizite hin. Mittelfristig öffnet es den Markt für angehende Schriftsteller und ermöglicht gleichzeitig auch jungen Übersetzern, die Literatur des deutschen Marktes zu bereichern und die Pluralität der Blicke auf die spanischsprachige Welt hervorzuheben.
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