In diesem Jahr haben Sie Gijón gegen Bamberg getauscht, weil Sie ein Exzellenzstipendium des Freistaates Bayern für Kunstschaffende erhalten haben. Was ist Ihnen in Ihrem neuen Leben in Deutschland am stärksten ins Auge gefallen?
Die deutsche Wesensart. Jenseits aller Vorurteile und Gemeinplätze über einzelne Nationen scheint es doch eindeutig so zu sein, dass die Deutschen ihre ganz eigene Art haben. (Zumindest im Fall, den ich kenne, eine ganz eigene bayerische Art.) Allerdings möchte ich hinzufügen, dass sich hinter dieser Aussage kein Urteil positiver oder negativer Art verbirgt. Ich halte lediglich eine Tatsache fest. Zudem hat mich überrascht, wie schön Bamberg ist, eine wirklich tolle Stadt.
Während Ihres Aufenthalts in der Villa Concordia haben Sie die Möglichkeit, mit anderen deutschen und spanischen Schriftstellern und Künstlern zusammenzuleben. Ist dies eine inspirierende, bereichernde Erfahrung?
Die Gruppe der spanischen Kollegen ist super, menschlich und beruflich. Ich lerne an ihrer Seite sehr viel und habe großen Spaß. Die Beziehung zu den deutschen Stipendiaten ist weniger intensiv, vermutlich sprachbedingt, auch wenn ihre Arbeit, zumindest im Fall der Musiker und Künstler, eigentlich keine Übersetzung benötigt.
Es gibt kein Interview mit Ihnen, in dem nicht erwähnt würde, dass Sie auf Ihrer literarischen Reise nicht gerade vielen spanischen Nachbarn begegnen. Da wollen wir natürlich auch keine Ausnahme bilden. Ist es vielleicht so, dass Sie in Deutschland Schriftsteller finden, die Ihnen thematisch näher liegen?
Grundlegend für mich als Leser war ein Teil der großen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, der auf Deutsch geschrieben wurde, wenn auch nicht unbedingt von Autoren, die in diesem Land geboren sind. Kafka, Broch oder Musil sind für mich als Referenz zwingend, und natürlich Thomas Bernhard, dessen Werk ich für das bedeutendste eines europäischen Schriftstellers in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts halte.
Zwei Ihrer Romane, La ofensa und Medusa, Letzterer jüngst bei Wagenbach auf Deutsch erschienen, spielen in Deutschland, weshalb man vermuten könnte, dass Sie in diesem Land gelebt hätten, was aber nicht der Fall ist. Woher kommt Ihre Beziehung zu Deutschland?
Wie aus der vorherigen Antwort hervorgeht, war meine Eigenschaft als Leser von Literatur, die auf Deutsch geschrieben wurde, ausschlaggebend für diese Beziehung. Überdies habe ich durch mein Philosophiestudium eine enge Beziehung zu deutschem Gedankengut. Von Kant bis Heidegger, es ist unmöglich, die Entwicklung der Geschichte der westlichen Gedankenwelt zu verstehen, ohne die deutschen Philosophen zu kennen.
Der Soldat Kurt Crüwell kommt aus Bielefeld, einem Ort, der in gewisser Weise mit Soria oder Teruel vergleichbar ist, über seine Existenz werden in Deutschland nämlich Witze gemacht. Ist diese Herkunft vielleicht ein augenzwinkernder Hinweis auf das erste Mal, als Sie deutschen Boden betreten haben? Wie war diese Erfahrung?
Es war tatsächlich eine etwas skurrile Erfahrung, weil ich auf der Rückreise von Holland war, eine Reise mit Hindernissen, und mir in einer für mich völlig unbekannten Stadt namens Bielefeld das Geld ausging. Bis ich das Geld für die Heimreise zusammenhatte, musste ich eine Woche dort verbringen. Ich glaube, es war die langweiligste Woche meines Lebens, aber in diesem intensiven Cafard-Gefühl von damals hat das Klima von La ofensa seinen Ursprung.
Das philosophische Konzept des Bösen beschäftigt Sie und ist in Ihren Werken sehr präsent. Glauben Sie, dass die Gesellschaft heutzutage seine Existenz, die Schrecken des Krieges, der Attentate vergessen bzw. sich damit abfinden will? Muss man aus dieser Lethargie erwachen?
Mit meinen ersten drei bei Seix Barral erschienenen Romanen habe ich in Wirklichkeit eine Trilogie über die Gleichgültigkeit geschaffen. In La ofensa aus dem Jahr 2007 eine als Ideologie getarnte Gleichgültigkeit, die Phänomene wie den Nazismus ermöglichen konnte. In Derrumbe aus dem Jahr 2008 eine als Angst getarnte Gleichgültigkeit, die zur gegenwärtigen Kultur der Simulation führt, mit der wir es heute zu tun haben. In El corrector aus dem Jahr 2009 eine als Manipulation getarnte Gleichgültigkeit, die die spanische Gesellschaft am 11. März 2004 an den Rand des Abgrunds führte und ihr eine fast heroische Ausübung von Verantwortung abverlangte. Aus diesem Blickwinkel und obwohl viele Kritiker nicht die Möglichkeit in Erwägung ziehen wollen, Kunst zur Abschreckung zu nutzen, trete ich dafür ein, dass Kunst keine Moral, wohl aber Ethik haben muss, dass Kunst nicht die Reformierung der Gesellschaft anstreben, wohl aber auf den Respekt vor der Kunst hinwirken muss, oder aber - wenn man es wegen der derzeitigen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen dem, was die Kunst ist, und dem, was sie nicht ist, vorzieht - den Respekt vor dem Kunstwerk im Hinblick auf die Intention, das Ziel, die Suche, letztendlich etwas Höherem im Menschen, ob immanent, wie in meinem Fall, oder transzendent, wie es bei anderen Künstlern der Fall ist.
Wir sind problemlos dazu in der Lage, uns das Essen vor dem Fernseher schmecken zu lassen, während die Nachrichten die von Menschen umgebrachten Toten in Palästina, im Irak oder in Nigeria zeigen, ohne dass es uns im geringsten erschüttern würde, wir reagieren aber mit Bestürzung auf einen schweren Unfall mit vielen Todesopfern in unserem eigenen Land. Gleichzeitig zeigt sich Prohaska in Medusa immun dagegen, makabre Hinrichtungsszenen in Kaunas zu filmen, während das Leiden der deutschen Kinder, die während des Krieges ihr Leben verlieren, bei ihm eine Krise hervorruft, die sich in seinem Werk widerspiegelt. Ist dieser Mangel an Empathie gegenüber Personen, die uns nicht nahestehen, mit der Grund für das Böse und ist es wichtig, mit dieser Differenzierung aufzuhören?
Es ist eine Tatsache, dass unser Mangel an Sensibilität gegenüber dem Schmerz anderer zum Teil aus dieser Unfähigkeit zur Empathie rührt. Etwas anderes ist es, die Frage zu beantworten, wie es dazu gekommen ist, dass wir die Empathie nicht gegenüber Geiern, Hunden oder Quallen, sondern gegenüber dem Rest der Menschheit, unabhängig von der Farbe der Augen, dem Glauben oder den Nahrungsmitteltabus, verloren haben.
In einem Großteil Ihrer Romane (Medusa, La luz es más antigua que el amor) spielt die Kunst eine ganz bedeutende Rolle als Ökosystem, in dem sich Ihre Romanfiguren bewegen und die Handlung sich abspielt. Warum ist die Kunst bzw. der kunstschaffende Prozess so wichtig für Ihr Werk und für Sie?
„Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen“, sagte Nietzsche. Mit weniger Worten lässt sich so ein großartiger Gedanke nicht ausdrücken. Denn wenn man die Philosophie als Ort des Widerstands erobert hat, als rotes Tuch gegen Dummheit und Vorurteile, bleibt uns die Trostlosigkeit der Trauer, die dieses Wissen hervorruft. Um dieses von unserem Bewusstsein geschenkte Wissen zu überleben, um die Traurigkeit der Philosophie zu besiegen, brauchen wir eine Lüge, die es uns ermöglicht, in der unerträglichen Wahrheit der Welt zu leben. Diese Lüge heißt Kunst.
Den Mann hielt es kaum auf dem Stuhl. Aus der Hüfte nahm er Schwung und reckte sich nach vorn, den linken Arm gerade durchgedrückt...
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