El crimen del Liceo – Barcelona 1909 (Verbrechen im Lyzeum – Barcelona 1909)
Autor: Fernando García Ballesteros
Verlag: Libros de Seda, Februar 2020, 384 Seiten
Gutachterin: Ursula Bachhausen
Ein rätselhafter Mord beim Maskenball im Opernhaus Barcelonas dient in El crimen del Liceo als Ausgangspunkt für ein klassisches Täterrätselspiel in bester Whodunit-Manier. Fernando García Ballesteros präsentiert in seinem historischen Kriminalroman einen cleveren Inspektor und dessen Ermittlungen vor der Kulisse eines farbenprächtigen, sozial und politisch aber unruhigen Barcelona im Jahr 1909. Krimi und historischer Roman gehen hier eine fruchtbare Verbindung ein.
Fernando García Ballesteros ist ein noch weitgehend unbekannter Autor. El crimen del Liceo ist erst der zweite Roman des 1970 in Barcelona geborenen Schriftstellers, der als studierter Anglist offenkundig eine Schwäche für klassische Krimiunterhaltung im Stil von Agatha Christie hat. Laut Verlagsangaben ist der Band der Auftakt einer Serie rund um den mit ruhiger Hand ermittelnden Inspektor Ignasi Requesens. Für 2021 ist bereits ein Nachfolgeband angekündigt.
Ein brutaler Mord schockt Barcelonas gute Gesellschaft. Bei einem farbenprächtigen Maskenball in Barcelonas Opernhaus Liceo wird die Condesa de Cardona tot aufgefunden, vermeintlich erschlagen mit einem emblematischen Rubin, der zum Familienerbe der Cardonas gehörte, aber seit Langem als verschwunden galt, tatsächlich aber erstickt. Inspektor Ignasi Requesens, der am Abend des Unglücks zugegen war, wird mit den Ermittlungen betraut, die ihn tief in die fremde Welt hinter der Opernbühne eintauchen lässt. Alle kannten die mächtige Gräfin, vom Intendanten über den Impresario der beim Maskenball aufgeführten Kurzoper bis hin zu den Tänzerinnen, Schneiderinnen und Bühnenarbeitern. Denn die Gräfin zog nicht nur in der guten Gesellschaft der katalanischen Hauptstadt die Strippen, sondern schickte sich auch an, als führende Stimme der Gesellschafter des Opernhauses im Gran Teatre del Liceo den Takt vorzugeben.
Doch nicht nur in der quirligen Theaterwelt hatte die Gräfin Anhänger, Neider und Gegner. Auch in Aristokratie und Großbürgertum hatte sie sich zu Lebzeiten bei Weitem nicht nur Freunde gemacht. Im Gegenteil, die aus ärmlichen Verhältnissen durch Heirat in eine der ältesten Adelsfamilien Kataloniens aufgestiegene Victoria wurde in der guten Gesellschaft nie als ebenbürtig aufgenommen und beantwortete die Missgunst durch eine ostentative Zurschaustellung ihrer wirtschaftlichen Macht. Und obendrein setzte sie sich für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse ein, was gemeinhin als Skandal betrachtet wurde.
Seine Ermittlungen führen Inspektor Requesens aber auch in den Kreis der Familie. Das Vermögen der ursprünglich verarmten gräflichen Familie entstammt einträglichen, aber moralisch fragwürdigen Geschäften des verstorbenen Gatten auf Kuba. Auch das Verhältnis der Gräfin zu ihren Kindern war nicht ungetrübt, denn die Gräfin war ein Machtmensch, dem sich alle unterzuordnen hatten. Bei der Erreichung ihrer eigenen Ziele war sie wenig zimperlich. Anstatt sich nach dem Tod ihres Gatten dezent aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen und ihrem Sohn das Feld zu überlassen, eroberte sie sich eine für eine Frau jener Zeit ungewöhnlich einflussreiche Position, vereitelte im gleichen Atemzug aus persönlichem Kalkül die Liebesheirat ihrer Tochter und zwang dem Sohn eine ungeliebte Gattin auf, die soziales Prestige versprach.
An Verdächtigen mangelt es also nicht. Mit ruhiger Hand deckt Inspektor Requesens die verflochtenen Beziehungen der Figuren untereinander auf und entlarvt ihre Eifersüchteleien, Enttäuschungen und durch die Gräfin vereitelten Ambitionen. Die Ermittlungen vollziehen sich langsam. In bester Agatha-Christie-Manier steht hier nicht eine actionreiche Handlung im Vordergrund, sondern ein Sittengemälde und die geduldige Enthüllung der Tatumstände. Entlarvt wird der wahre Mörder erst ganz zum Schluss, nachdem der Leser beim Miträtseln mehrfach in die Irre geführt wurde.
Der besondere Reiz dieses recht traditionell erzählten Romans liegt in der Art und Weise, wie süffig, farbenprächtig und detailreich die verschiedensten Milieus im Barcelona des Jahres 1909 geschildert werden. Die Kriminalerzählung geht eine fruchtbare Verbindung mit dem historischen Roman ein, und vor dem Auge des Lesers werden die Werkstätten des Opernhauses ebenso zum Leben erweckt wie die Salons der feinen Gesellschaft, in denen die neuesten Bauvorhaben eines Architekten namens Antoni Gaudí diskutiert werden. Soziale und politische Verwerfungen, die später im Jahr in der Tragischen Woche zu den Aufständen der Arbeiter gegen den Marokkokrieg führen sollen, werden im Hintergrund der Erzählung bereits angedeutet, auch wenn sie bei den Ermittlungen keine maßgebliche Rolle spielen.
Barcelona-Liebhaber unter den Lesern werden voll auf ihre Kosten kommen, wenn sie mit dem Inspektor gemeinsam durch die Carrer Montcada oder über die Ramblas und den Passeig de Gràcia streifen. Und wer die Stadt noch nicht kennt, wird durch die schillernden Bilder vielleicht ebenso neugierig gemacht wie vor Jahren die Leser von Eduardo Mendozas Stadt der Wunder.
Auch wenn El crimen del Liceo in der literarischen Tiefe nicht ganz mit seinen großen Vorbildern mithalten kann, wird dem Leser hier solide Unterhaltung geboten. Freunde des gepflegten Täterrätselspiels werden am „Verbrechen im Liceo“ ihre Freude haben.
Fazit: Dieser klassische historische Kriminalroman hat das Potenzial, auch in Deutschland Leser für sich einnehmen zu können. Eine klare Empfehlung.
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