Gutachterin: Sonja Finck
El estatus ist der sechste Roman des 1975 in Segovia geborenen spanischen Autors, Kritikers und Journalisten Alberto Olmos.
Eine Mutter (Clara) zieht mit ihrer zwölfjährigen Tochter (Clarita) vom Landsitz der Familie in eine Stadtwohnung, wo sie auf den Ehemann und Vater warten, der in Übersee arbeitet. Kurz darauf trifft ein Dienstmädchen ein, und sie begegnen dem stummen und geistig zurückgebliebenen Pförtner. Bald häufen sich seltsame Vorkommnisse. Während die Mutter davon ausgeht, dass sie von Nachbarn terrorisiert werden, glaubt das Mädchen an herumspukende Gespenster. Bei ihren Streifzügen durch die Flure bemerkt Clarita jedoch, dass alle anderen Wohnungen im Haus leer stehen. Eines Tages steht ein Anwalt vor der Tür und überbringt Clara die Nachricht, dass ihr Mann die Scheidung einreichen und Clarita in seine Obhut nehmen will. Zu diesem Zeitpunkt ist das Mädchen jedoch bereits in einem schwarzen Raum verschwunden, in den sie der Pförtner geführt hat. Auf der Suche nach ihrer Tochter verschwindet auch die Mutter in diesem unwirklichen Raum. Es bleibt unklar, ob der Pförtner beide getötet hat, jedenfalls verschwinden sie einfach von der Bildfläche. Von nun an schweben die beiden in einer Zwischenwelt, von der aus sie das Geschehen im Rückblick verfolgen und kommentieren.
Ein herausragendes Thema des Romans sind die komplexen zwischen¬menschlichen und gesellschaftlichen Beziehungen. Die Figuren finden nicht zueinander, weil Dünkel oder Gleichgültigkeit sie zur Einsamkeit verurteilen. Vor allem Clara ist von ihrer sozialen Überlegenheit überzeugt. Subtil schildert der Autor ihre verzweifelten Versuche, ihre Tochter zum Klassenbewusstsein zu erziehen.
Die gesamte Erzählung hat einen allegorischen Charakter. Zum Beispiel wird das Haus, in das Clara und Clarita ziehen, folgendermaßen beschrieben: „Außen ein Palast, innen eine Ruine.“ Damit ist es ein Spiegel der sozialen Fassade, die die Mutter aufrechtzuerhalten versucht. Olmos seziert in seinem Roman existenzielle Gefühle wie Angst, Scham, Begehren und Einsamkeit, wofür er die engen Grenzen des Realismus überwinden muss. So erkundet der Autor mittels einer surrealistischen Spukgeschichte das Gespenstische in zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Beziehungen.
Der Klappentext der spanischen Ausgabe rückt El estatus in die Nähe zu Beckett, und in einem Interview nennt der Autor als literarische Vorbilder Juan Rulfo (in der Tat erinnern Claras und Claritas Stimmen aus dem Nichts an die Stimmen der Toten in Pedro Páramo), Pablo Neruda, Henry Miller, William Faulkner und Albert Camus. Zudem erinnert Olmos’ Art, fantastische Elemente zu gebrauchen, um soziale Beziehungen und gesellschaftliche Machtverhältnisse zu erforschen, kombiniert mit einer klaren Sprache und minimalistischen Erzählweise, an Kafka. Darüber hinaus gibt es Anleihen bei Freud: der abwesende, aber omnipräsente Vater, schwer zu deutende Träume, verschlossene Türen, unterdrückte sexuelle Bedürfnisse und Schlüssel, die zu keinem Schloss passen.
Stilistisch ist der Text durchkomponiert, ohne schwierig oder unzugänglich zu sein. Olmos’ Sprache ist puristisch, weshalb seine Prosa intellektuell herausfordernd, jedoch nie anstrengend zu lesen ist.
Auch dramaturgisch ist dieser Roman virtuos angelegt. Trotz der Dichte des Textes ist die Geschichte lebendig und trotz ihrer fantastischen Elemente realistisch im besten Sinn. Es handelt sich hier eindeutig um einen Autor, der sein Handwerk versteht.
Bisher ist keiner von Olmos’ Romanen ins Deutsche übersetzt, so dass ein deutscher Verlag mit El estatus nicht nur einen Einzeltext veröffentlichen könnte, sondern einen Autor und sein Werk.
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