El joven Poe: El misterio de la calle Morgue (dt. Der junge Poe: Das Geheimnis der Rue Morgue)
Autor: Cuca Canals
Verlag: Barcelona: Edebé 2017, 159 Seiten
Genre: Kind & Jugend
Gutachterin: Sabine Giersberg
Der bezaubernde Roman für Kinder ab etwa 10 Jahren hat den blitzgescheiten, ziemlich schrägen elfjährigen Edgar Allan Poe zum Protagonisten, der alles Schwarze liebt, im Beerdigungsinstitut seines Stiefvaters die Böden kehren muss und nur ein Ziel kennt: Er will Schriftsteller werden. Er liebt geometrische Formen, und für ihn muss alles (Stifte, Kreide etc.) eine exakte Ausrichtung haben, die Dinge dürfen sich nicht berühren. Nach dem frühen Tod der Mutter kamen er und seine Geschwister Rosalie und William Henry zunächst in ein Waisenhaus und wurden später adoptiert, er und seine kleine Schwester blieben in Boston, und sie begleitet ihn beim Detektivspiel. Von der Mutter sind ihm nur ein Amulett und die Erinnerung geblieben. Um Geld für die erträumte Reise zum Vater nach Irland zu sammeln, verkauft er an andere Kinder „Gruselanleitungen“, von denen er einen ganzen Katalog besitzt. Ständiger Begleiter ist der abgerichtete Rabe Neverland, von dem sein trunksüchtiger, cholerischer Vater nichts wissen darf.
Als in der Rue Morgue ein grauenvolles Verbrechen an einer Frau und ihrer Tochter begangen wird, sind seine Neugier und sein Instinkt geweckt. Edgar beobachtet, verschlingt die Zeitungsartikel zu dem Verbrechen, sucht schließlich Inspektor Auguste Dupin auf, der sofort die Intelligenz des Jungen erfasst; die beiden sind so etwas wie Seelengefährten. Neben seinem scharfen Verstand vertraut Edgar auf schwarze Magie im Umgang mit seinen Mitmenschen. Als Talisman trägt er ein in Formaldehyd präpariertes menschliches Auge bei sich, mit dem er unangenehme Zeitgenossen verscheucht. Die Spannung und der Druck auf die Ermittler steigen, als ein achtjähriger Junge namens Michael Bloom verschwindet. Angst geht in der Stadt um.
Es gelingt Edgar, den Verdacht gegen alle möglichen Nachbarn zu entkräften, und die zum Teil widersprüchlichen Zeugenaussagen aufzuschlüsseln. Es handelt sich nicht, wie anfänglich angenommen, um einen Raubmord, sondern das Geld wurde von einem spielsüchtigen Schneidergehilfen gestohlen, und das Verbrechen wurde nicht von dem zuletzt in Verdacht stehenden, psychisch kranken Brandy Bones begangen, sondern von einem Orang-Utan, den ein Seefahrer aus Borneo mitgebracht und bei sich eingesperrt hatte. Als dieser in einem unbeobachteten Moment seiner qualvollen Gefangenschaft entfliehen konnte, nahm das Unheil seinen Lauf. Dupin und Edgar locken den Seemann in die Falle und geraten dabei in einem spannenden Finale in Lebensgefahr. Natürlich wendet sich — auch dank des Einsatzes des klugen Neverland — alles zum Guten. Neue Fäden für Folgeerzählungen (die Aufklärung des Falles des verschwundenen Jungen, die Heimkehr des Stiefbruders von der Militärakademie, der ihm das Leben zur Hölle machen will) sind bereits ausgelegt.
Erzählt ist der Roman aus Ich-Perspektive des jungen, fein gezeichneten Edgar. Aber auch die anderen Figuren sind gut gestaltet, und die Geschichte ist spannend und gut zu lesen. Die Autorin Cuca Canals (*1962 in Barcelona) ist Schriftstellerin, Malerin und Drehbuchschreiberin. Sie hat bereits verschiedene Kinderbücher, aber auch Romane geschrieben. Auf Deutsch ist 1998 der skurrile Roman Berta, la larga (Die lange Berta, eine leidenschaftliche, ironische, meteorologische und ziemliche unlogische Geschichte, Ü: Theres Moser) erschienen. Auf Amazon wird die Autorin wie folgt charakterisiert: „Sie liebt Schinken, Fernando Pessoa, Stummfilme, visuelle Poesie und Dada“ — ein aussagekräftiges Bild, wie ich finde.
Die Geschichte wird in 15 liebevoll gestalteten Kapiteln in einer einfachen Sprache erzählt und besticht vor allem durch den Charme und die Cleverness des Protagonisten, durch ihren Humor, aber auch durch das originelle Ende. Die Kinder werden an die Welt Poes herangeführt, lernen eine gequälte, von Düsterem und Tod beherrschte Seele kennen, der eine überbordende Fantasie jedoch Flügel verleiht. Es ist eine kindliche Variante der Schauerliteratur mit Elementen, wie wir sie von Poe kennen (der Rabe, die schwarze Katze, das House of Usher etc.), die vielleicht zur Lektüre des Originals anregt, aber vor allem auch in einer immer mehr auf Gleichförmigkeit ausgerichteten Welt die Botschaft vermittelt, dass Anderssein etwas Positives sein kann. Der Roman ist der Auftakt einer ganzen Reihe um den jungen Edgar, und er macht eindeutig Lust auf mehr. Fazit: Eine klare Empfehlung. Schwierigkeiten bei der Übersetzung gibt es keine.
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