En la sangre (Im Blut)
Autorin: Laura Gomara
Verlag: Roca, Oktober 2019, 336 Seiten
Gutachterin: Ursula Bachhausen
Eine Diebin, eine tödliche Krankheit und die Stadt Barcelona mit all ihren Facetten zwischen Übertourismus, Prekariat, kriminellen Milieus und alteingesessener Bourgeoisie. Das sind die Ingredienzien, mit denen Laura Gomara den Leser von En la sangre auf eine spannende Reise in menschliche Abgründe schickt.
Als Dozentin für kreatives Schreiben weiß die in Barcelona geborene Autorin Laura Gomara, wie eine gute Geschichte erzählt wird. Unter Beweis stellen konnte sie das bereits mit ihrem für mehrere Krimipreise nominierten Erstling Vienen mal dadas (2017). Auch En la sangre stieß bei Erscheinen im Herbst 2019 bei Kritik und Lesern auf ein positives Echo. In Deutschland ist bislang keiner der Romane von Laura Gomara erschienen.
Mit Eva Valverde hat Gomara eine Protagonistin geschaffen, die man nicht so leicht vergisst. Zynisch und kaltschnäuzig wirkt die raffinierte Diebin, die ohne jeden Skrupel in der Metro Handys und Brieftaschen stiehlt, vor allem aber in von Touristen angemietete Appartements einbricht und das wertvolle Diebesgut mit ein paar nonchalanten Klicks auf Online-Plattformen verhökert. Sie ist kein armes Opfer bedrückender Umstände, sondern hat sich bewusst für diesen Lebensweg entschieden, sie, die Tochter einer Mittelschichtfamilie mit überbehütenden Eltern, die zwei Studiengänge abgeschlossen hat und sich in einem wohlsituierten Freundeskreis bewegt.
Der Leser begleitet die Ich-Erzählerin auf einer emotionalen Tour de Force, denn sie ist keineswegs unsympathisch. Er kann ihren Triumph über einen geglückten Diebstahl nachvollziehen, der für sie ein Ventil für psychischen Druck ist. Er leidet mit ihr, wenn sie über Krankheit und Tod sinniert, ihre ständigen Begleiter, seit sie in der Kindheit durch eine Bluttransfusion mit Hepatitis C infiziert wurde. Und er erfährt verwundert, mit welch hochnäsiger Arroganz sie einem von Luxusmarken bestimmten Lebensstil frönt, den sie sich allein durch ihre kriminellen Machenschaften leisten kann. Mit ihr spürt er die gläserne Decke, die sie von ihren gutbürgerlichen Freunden aus Unizeiten trennt, und durchlebt mit ihr Entwurzelung und Ängste, als ihr bisheriges, trotz des Ursprungs ihrer Einkünfte wohlgeordnetes Leben plötzlich wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.
Denn Eva, die raffinierte Trickdiebin, wird selbst zum Opfer. Zuerst wird sie auf offener Straße angegriffen, dann wird ihre Wohnung in Brand gesetzt: Ihre Aktivitäten sind einer Bande von rumänischen Taschendieben ein Dorn im Auge. Und als Nächstes wird sie von dem Juwelier, bei dem sie den auf ihren Diebeszügen erbeuteten Schmuck versetzt, erpresst: Sie soll sich unter einem Vorwand als Mitarbeiterin bei einer alten, bettlägerigen Verlegerin einschleichen und ihr einige markante Schmuckstücke stehlen.
Und so gleitet der 31-Jährigen, die sich nach dem Verlust ihrer Wohnung plötzlich in ihrem Elternhaus wiederfindet, nach und nach alles aus der Hand. Einen zweifelhaften Halt findet Eva in Oleg, ihrem Ex-Freund. Er ist ihr Fluchtpunkt, wenn ihr die übergriffige Mutter zu sehr auf die Nerven geht, aber ganz auf ihn einlassen will sie sich nicht.
Was Eva, die Ich-Erzählerin, nicht weiß: Auch Oleg hat ein Geheimnis. Er ist nicht nur der Sohn russischer Einwanderer, der im elterlichen Restaurant aushilft und in einer Auto- und Motorradwerkstatt arbeitet. Dass Oleg der Neffe eines russischen Mafioso ist, der Großes mit dem Sohn seiner Schwester vorhat, erfährt der Leser in einem zweiten Erzählstrang. Oleg soll der Statthalter seines Onkels Mikhaïl in Barcelona und an der katalanischen Küste werden.
Oleg ist Evas Gegenentwurf und Spiegel. Während sie anfangs davon träumt, ihr einträgliches Geschäft als Diebin zu professionalisieren und Investoren für eine Second-Hand-Ladenkette für (gestohlene) Luxusgüter sucht, will sich Oleg, der sich nach einem bürgerlichen Leben sehnt, vergeblich aus den kriminellen Verstrickungen befreien.
Die Wege ihrer kriminellen Aktivitäten kreuzen sich, als Oleg Verdacht schöpft und Eva verfolgt. Er erfährt von der Erpressung durch den Hehler, während sie an dem Schmuck, den sie der Verlegerin stehlen soll, ein markantes Muster erkennt, das auch der Ring von Olegs Mutter trägt.
Zwei Morde – am Juwelier und an der Verlegerin – später müssen Eva und Oleg erkennen, dass sie zu tief im Sumpf stecken. Sie haben ihre Unschuld verloren, die sie trotz Evas zynischer Art und Olegs machohaftem Gebaren zu Beginn besaßen. Auch wenn die Polizei ihnen nichts anhaben kann, gibt es für die beiden kein Entkommen. Für sie führt der Weg nur noch tiefer hinein in den kriminellen Sumpf.
In En la sangre bricht Laura Gomara mit manchen Konventionen des Kriminalromans. Es gibt keine klassische Ermittlung, und die Rollen von Gut und Böse, von moralisch einwandfrei und verwerflich sind nicht eindeutig verteilt. Auch die Auflösung, dass hinter allem letztlich Olegs Onkel steckt, der zugleich seine Position als krimineller Oberboss der Region behaupten und seine Schwester mit dem fraglichen Schmuck versöhnen will, wirkt ein wenig konstruiert.
Doch Laura Gomara versteht es, glaubwürdige Figuren zu zeichnen und ihnen Leben einzuhauchen. Seine Spannung bezieht der Roman aus den interessanten Charakteren und dem Spiel mit einem Informationsvorsprung des Lesers. Denn früher als die Ich-Erzählerin Eva erfährt der Leser, dass Oleg kein unbescholtener Mechaniker ist, und ahnt, dass er den Juwelier auf dem Gewissen hat, um sie zu schützen. Und so wird der Leser zum Komplizen. Er wird mit hineingezogen in den Strudel des gegenseitigen Versteckspiels der beiden, fürchtet mit ihnen die Ermittlungen der Polizei und muss am Ende erkennen, dass sie doch nur Figuren auf dem Spielbrett eines anderen waren.
En la sangre ist – gerade auch durch den Seitenhieb auf den Übertourismus in Barcelona – der passende Krimi fürs Urlaubsgepäck. Auch wenn der Roman kein „lupenreiner“ Kriminalroman ist, sorgt Gomaras Erzählgeschick für spannende Unterhaltung.
Fazit: Ich empfehle den Roman zur Übersetzung ins Deutsche.
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