Epílogo (Epilog)
Autor: Pablo Velarde
Verlag: Nuevo Nueve Editores, Madrid 2019, 240 Seiten
Gutachter: Jan Surmann
Der anerkannte und prämierte spanische Comic-Künstler Pablo Velarde geht in seiner graphic Novel Epílogo auf spannende und fesselnde Art einem zentralen Thema der spanischen Gegenwartsgesellschaft nach: Nämlich der Aufarbeitung der franquistischen Ära. Velarde gelingt dies auf besonders einfühlsame Weise, da er als Aufhänger diese gesellschaftspolitische Auseinandersetzung in einem familiären Kontext verortet. Der Autor nimmt den Leser dabei auf eine emotionale Achterbahn mit, die zutiefst von der Sichtweise des Hauptdarstellers geprägt ist, und aus der man sich erst am Ende der Geschichte wieder befreien kann und eine sachlichere und damit objektivere Sicht auf die Familiengeschichte zurück erlangt. Dabei stehen die tradierten Familienmythen metaphorisch für die gesellschaftliche Amnesie der Post-Franco-Ära, sowie der Frage, wie gesellschaftliche Narrative tradiert, aber auch manipuliert werden. Bemerkenswert ist dabei die Fähigkeit des Autors, wie er auch den Leser sich subtil in den Fängen dieses Spinnennetzes verfangen lässt. Als zentrales Leitmotiv kann daher die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit geschichtlicher Epochen gesehen werden und somit ist die thematische Verortung der graphic Novel durchaus von universalistischem Interesse.
Der Autor Pablo Velarde wurde noch während der Franco-Ära 1963 im andalusischen Sevilla geboren. Er begann Architektur an der Universität zu studieren, brach das Studium dann aber ab, um sich – zuerst in Neuseeland - ganz seiner Leidenschaft den Comics und Illustrationen zu widmen. 1994 begann er als Comic-Zeichner hauptberuflich zu arbeiten und schuf die Kunstfigur „Quintín Lerroux“, die unter anderem regelmäßig in einer Beilage der Tageszeitung El Mundo erschien. Ein Jahr später wurde er Teil der in Spanien sehr bekannten Zeitschrift „El Jueves“ und verantwortete dort mehrere Comic-Serien. Neben Comics illustrierte Velarde auch Kinderbücher. Eine gute Übersicht über seine künstlerische Bandbreite bietet sein eigener Internetauftritt www.mongoliacomix.es. Die graphic Novel Epílogo ist das erste größere zusammenhängende Werk von Pablo Velarde, was mit rund 240 Seiten für dieses Genre sehr umfangreich ausgefallen ist. Publiziert wurde die graphic Novel von dem in Madrid ansässigen Verlag Nuevo Nueve, der von Ricardo Esteban geleitet wird und sich auf illustrierte Bücher und graphic Novels spezialisiert hat. Der Verlag verfolgt den Anspruch, auch neuen Autorinnen und Autoren eine Publikationsmöglichkeit zu bieten und ist daher immer auch eine Quelle noch unentdeckter, vielversprechender Künstler.
Die graphic Novel Epílogo beginnt mit einem Prolog. Wir schreiben das Jahr 1979, vier Jahre nach Francos Tod befindet sich Spanien in voller gesellschaftlicher Transición in Richtung Demokratie. Per Zufall erfährt der Protagonist Rodrigo Mendoza, der in einer Zeitungsredaktion arbeitet, über eine Zeitungsannonce, dass sein Vater verstorben ist. Er hat auf diese Weise davon Kenntnis erhalten, da er bereits seit vielen Jahren den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen und keinerlei Bindungen mehr zu ihr hat. An seiner Reaktion zu messen muss es sich bei seinem verstorbenen Vater um einen äußerst schlechten Menschen gehandelt haben. Der Autor Pablo Velarde gibt in dieser kurzen Einleitung stringent die weitere Richtung des Geschehens vor. Fünf Jahre nach dem Tod des Vaters, der Protagonist arbeitet noch immer bei einer Zeitung, bekommt dieser den Auftrag, eine Fotoausstellung zu besprechen. Es ist diese Ausstellung, die eine brisante und hochemotionale (Irr-)Fahrt des Protagonisten in seine Familiengeschichte auslöst. Denn Rodrigo Mendoza erkennt auf einem der ausgestellten Fotografien seinen leiblichen Vater, allerdings in einer ihm gänzlich unbekannten Kontextualisierung: Der Vater wird präsentiert als vermeintlicher Beschützer und Retter von Exilanten und Flüchtlingen, denen es nur durch dessen Hilfe zu gelingen scheint, das franquistische Spanien zu verlassen und einen Weg in die Freiheit zu finden. Als verantwortlich für die franquistische Zensur im Kulturbetrieb: So hatte der Protagonist bislang seinen Vater in Erinnerung.
Mit diesem Setting entwirft Velarde mit seiner graphic Novel nicht allein eine spannende und interessante Darstellung der Auseinandersetzung mit der Franco-Zeit aus einer innerfamiliären Perspektive. Fragen nach der Art und Weise, wie die Vergangenheit erinnert wird, auf welche Aspekte wir uns fokussieren und wie fragil diese Erinnerung biographisch verankert ist, geben dem Buch eine bemerkenswerte Tiefe und auch philosophische Dimension, die als eigener thematischer Strang zu sehen und wert zu schätzen ist. Die graphic Novel zeigt in beeindruckender und auch den Lesenden verwirrenden Weise, wie Geschichte aktiv geschrieben und beeinflusst wird und wie ihre Erinnerung und Vergegenwärtigung keine objektive und historische Konstante darstellt. Somit ist das Buch nicht allein unterhaltsam, sondern lädt auch zu einer tieferen erinnerungspolitischen Reflektion ein.
Stilistisch ist die graphic Novel Epílogo sehr ansprechend gestaltet. Das Hardcover unterstreicht den qualitativ hohen Anspruch. Die Zeichnungen sind durchgängig in schwarz-weiß gehalten in einer den Rezensenten sehr ansprechenden Zeichensprache. Das Werk ist recht lang, liest sich aber flüssig und ist sehr einnehmend, gerade auch auf Grund der guten thematischen Strukturierung. Unerwartete Wendungen und eine serpentinengleiche Enthüllung des Plots ziehen dabei den geneigten Leser in seinen Bann. Der künstlerische Ausdruck ist stark und wird von den teilweise langen Sequenzen ohne jegliche Sprache noch unterstrichen.
Die graphic Novel Epílogo ist daher zweifelsohne für eine Übersetzung für den deutschen Markt zu empfehlen. Nicht nur überzeugt sie stark in Bezug auf die künstlerische Umsetzung. Insbesondere die thematische Ausrichtung und ihre spezifische Bearbeitung durch Pablo Velarde macht das Buch nicht nur zu einem interessanten Dokument der gesellschaftlichen Vergangenheitsbewältigung der Franco-Ära in Spanien. Es ist vor diesem Hintergrund sowohl literarisch als auch gesellschaftlich auch für den Leser in Deutschland von großem Interesse. Die spanische Edition ist als Hardcover sehr anspruchsvoll und ansprechend gestaltet. Dies ebenso für die deutsche Edition zu halten, wäre ebenfalls empfohlen! Es unterstreicht auf eine subtile Form den Anspruch der graphic Novel.
Den Mann hielt es kaum auf dem Stuhl. Aus der Hüfte nahm er Schwung und reckte sich nach vorn, den linken Arm gerade durchgedrückt...
WEITER
Martina Streble ist Gründerin des noch jungen Verlags „Edition Helden“, der auf Kindercomics spezialisiert ist. Frau Streble, Sie haben im Jahr 2022 einen Verlag für Kindercomics...
WEITER
Themenbereich
Bienvenidos a Nuevos Libros en Español. Aquí te presentamos títulos españoles actuales por los que...