Idiotizadas (Verblödet)
Autorin: Raquel Córcoles
Verlag: Zenith, Barcelona, 2017, 208 Seiten
Genre: Graphic Novel
Gutachterin: Kirsten Brandt
Idiotizadas ist das vierte Buch von Raquel Córcoles (Reus, 1989), die mit ihrer Kunstfigur »Moderna de pueblo« (die »Moderne vom Lande«) inzwischen in ganz Spanien bekannt ist. Ihre namenlose Protagonistin ist eine junge Frau aus der Provinz, die mit Anfang zwanzig in die Großstadt zieht und von ihrem dortigen Alltag mit all seinen Tücken erzählt.
Vor allem Córcoles’ zweites Buch, Los capullos no regalan flores, war auch international erfolgreich und ist in Frankreich, Brasilien, Portugal, Singapur und Malaysia erschienen.
In Idiotizadas ist die »Moderna de pueblo« mittlerweile Anfang dreißig und schlägt sich mit Beziehungsproblemen und den Erwartungen der Gesellschaft an die Frauen herum. »Idiotizadas«, also verblödet, werden Frauen ihrer Meinung nach von frühester Kindheit an, indem man ihnen einredet, dass sie vor allem hübsch, still und bescheiden zu sein hätten, auf den Märchenprinzen warten und sich für ihn »aufheben« sollten, wofür sie dann mit ewiger Liebe belohnt würden. Die Folgen dieser Verblödung schildert die Erzählerin sehr anschaulich anhand ihrer Geschichte und der ihrer drei Freundinnen, wobei sie die typischen Disney-Prinzessinnen persifliert.
Zu Beginn der Geschichte verlässt die Moderna die WG mit ihrer besten Freundin, um zu ihrem Freund zu ziehen. Dass der in einer Spießersiedlung am Stadtrand lebt, stört sie zwar, aber sie verlässt sich darauf, dass es nur vorübergehend ist und sie beide schon bald zurück ins Zentrum ziehen werden. Doch rasch stellt sich heraus, dass ihr Freund ganz andere Pläne hat, von Heirat, Kindern und einem beschaulichen Leben in der Kleinfamilie träumt. Der Moderna graust vor dieser Perspektive, zumal eine Freundin aus der Viererclique sich gerade entschlossen hat, genau diesen Weg zu gehen: Sie ist schwanger und redet von nichts anderem als Geburtsvorbereitungskursen und Grillabenden mit den Nachbarn. Als das Kind geboren ist, gibt sie ihren Job auf, um ganz Mutter zu sein. Sie wird als Meerjungfrau
dargestellt, die ihrem Kerl an den Haken gegangen ist und ihr aufregendes Nixenleben gegen eine langweilige Existenz auf zwei Beinen eingetauscht hat.
Das erbost vor allem »Zorricienta« (Schlampenputtel), die ehemalige Mitbewohnerin der Moderna, eine flippige, unkonventionelle Radiomoderatorin, die ein Leben voller Sex, Alkohol und Partys führt und sich zunehmend von ihren Freundinnen im Stich gelassen fühlt. Für ihre frechen Sex- und Lebenstipps im Radio wird sie als Schlampe beschimpft und anonym bedroht, woraus sie sich aber nichts macht. Ihren Freundinnen gegenüber verhält sie sich oft tyrannisch und wirft ihnen ihre (tatsächliche oder eingebildete) Spießigkeit vor.
Vierte im Bunde ist »Gordinieves« (Schneedickchen), die sich allen Versuchen ihrer Mutter widersetzt, ein schlankes, feminines Wesen aus ihr zu machen, und sich im Laufe der Jahre mit ihrer molligen Figur angefreundet hat. Selbstbewusst weigert sie sich, sich irgendwelchen Schönheitsidealen zu beugen, rasiert sich zum Beispiel auch nicht die Beine. Dafür bewundert die Moderna sie sehr, schafft es selbst aber nur halb, sich vom Diktat der Weiblichkeit (Diäten, High-Heels, Intimrasur u.ä.) freizumachen. Allerdings leidet Gordinieves darunter, dass ihr Liebhaber sich nicht in der Öffentlichkeit mit ihr zeigen will.
Als der Freund der Moderna sie zunehmend drängt, Kinder zu bekommen, kommt es zum Streit. Die Moderna geht mit Zorricienta aus, stellt aber fest, dass ihr das Nachtleben nicht mehr so viel Spaß macht wie früher und sie doch sehr an ihrem Freund hängt. Der scheint auch, nachdem er einen Abend lang seinen Neffen hüten musste, vorläufig von seinem Kinderwunsch geheilt. Die beiden ziehen zurück ins Stadtzentrum. Die Freundin mit Kind steigt wieder ins Berufsleben ein, der Freund von Gordinieves bekennt sich schließlich doch zu ihr, und alles scheint auf ein Happy End hinauszulaufen. Unbemerkt von der Moderna fängt ihr Freund aber ganz heimlich wieder an, von Kindern zu träumen …
Idiotizadas nimmt auf sehr unterhaltsame, wenn auch manchmal leicht plakative Weise die Sorgen und Nöte weiblicher großstädtischer Thirtysomethings aufs Korn. Der Grundton ist bissig und dezidiert feministisch, viel mehr als in anderen Geschichten oder Filmen mit vergleichbarer Thematik. Zwar wissen wir inzwischen eigentlich alle, dass Frauen keine Märchenprinzessinnen sein sollten, die von der Hochzeit als dem »schönsten Tag im Leben« träumen, dass sie sich dem Schlankheits- und Fitnesswahn widersetzen sollten, trotzdem ist die Kritik vielleicht angesichts des Erfolgs von Sendungen wie GNTM so wichtig wie eh und je. Und bestimmt werden viele Frauen sich in der Protagonistin mit all ihren teils sehr witzig dargestellten Zweifeln und Widersprüchen wiedererkennen und auch ertappt fühlen.
Sicher ist die in Idiotizadas erzählte Geschichte nicht neu, wohl aber die Idee, sie als Graphic Novel zu erzählen. Ein originelles Buch also, für das sich durchaus auch in Deutschland ein Publikum finden könnte.
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