Andrea Genovart (Barcelona, 1993) arbeitet nach dem Studium der Literaturtheorie und Vergleichenden Literaturwissenschaft und einem Master in Kulturmanagement freiberuflich für verschiedene Verlage im Bereich Presse und Kommunikation. Consum Preferent ist ihr erster Roman, für den sie gleich mit dem prestigeträchtigen Premi Llibres Anagrama de Novel·la ausgezeichnet wurde.
Die dreißigjährige Alba lebt in Barcelona, wo sie für eine Werbeagentur arbeitet. Perspektiv- und ziellos lässt sie sich durchs Leben treiben, geht aus, trinkt und feiert und erlebt regelmäßige Abstürze (so muss sie sich zum Beispiel gleich zu Beginn des Romans nach einer Fressattacke fürchterlich übergeben und beobachtet fasziniert das Erbrochene, das sie in allen Einzelheiten beschreibt, ein Moment – allerdings der einzige im ganzen Buch –, der unwillkürlich an „Feuchtgebiete“ erinnert). Für zielstrebige, erfolgreiche Menschen wie ihre Cousine Clara, die studiert hat und Ärztin geworden ist, hat sie nur Verachtung übrig; heimlich beneidet sie sie aber auch ein bisschen für ihre Selbstgewissheit. Sie vermisst ihre Jugendfreundin Berta, die sich von ihr entfremdet hat, seit sie in einer festen Beziehung lebt. Alba selbst unterhält eine unverbindliche sexuelle Beziehung zu Uri, in den sie verliebt ist, was sie aber kaum vor sich selbst eingestehen will. Als Uri ohne Abschied aus ihrem Leben verschwindet, ist sie verletzt und traurig, behält das aber für sich. Schließlich wird ihr befristeter Vertrag bei der Agentur nicht verlängert, und sie zieht sich den Sommer über in ein abgelegenes Dorf in Kastilien zurück, um zu überlegen, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll. Als sie am Ende des Sommers nach Barcelona zurückkommt, hat sie noch immer keine Perspektive.
Die Zusammenfassung der Handlung von Consum Preferent könnte zu dem Schluss verleiten, dass in dem Buch nicht viel passiert – was stimmt und zugleich nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte, denn das Entscheidende an diesem Roman sind nicht die geschilderten Ereignisse, sondern die Beobachtungen und Reflexionen der Ich-Erzählerin. Und die zeichnen ein unglaublich komisches und zugleich tieftrauriges Bild einer verlorenen Seele, die vergeblich versucht, ihren Platz in einer dekadenten, zynischen Gesellschaft zu finden.
An manchen Stellen erinnert das Buch in seinem Furor an den frühen Rainald Goetz, allerdings ist die dezidiert weibliche Perspektive entscheidend. Damit gehört Andrea Genovart zweifellos zu der neuen Generation zorniger junger Frauen, die gerade frischen Wind in die spanische Literatur bringen – so wie Elvira Sastre oder Sara Mesa, um nur beispielhaft zwei Namen zu erwähnen, die letztes Jahr zum Messeschwerpunkt „Spanien“ in deutscher Übersetzung erschienen sind und auch hier bei Kritik und Publikum auf Interesse gestoßen sind.
Sprachlich ist Consum Preferent brillant, und das macht, beinahe mehr als der Inhalt, die Qualität des Buches aus und ist vermutlich der Grund für die Auszeichnung mit dem Premi Anagrama; Genovart zündet ein wahres Feuerwerk aus Gedankenfetzen, Sprichwörtern, Liedtexten, onomatopoetischen Einsprengseln und Werbesprüchen in einer wilden Mischung aus Katalanisch und Spanish (und manchmal auch ein wenig Englisch), das die Lektüre nicht ganz einfach, aber zu einem gewaltigen Vergnügen macht. Allerdings dürfte genau das eine Übersetzung nicht unmöglich, aber doch sehr schwierig machen. Es ist kaum vorstellbar, wie im Deutschen eine Entsprechung des Mix‘ aus Spanisch und Katalanisch aussehen könnte, vermutlich würde dieser Aspekt einfach verloren gehen. Und für viele der Redensarten, Werbesprüche und Binsenweisheiten müssten deutsche Entsprechungen gefunden werden. Dazu kommt, dass viele der Situationen und Begegnungen, die Alba mit grimmigem Humor schildert, sehr typisch für Barcelona sind – wenn auch nicht so speziell, dass ein deutsches Lesepublikum sie sich nicht vorstellen könnte. Einsame Gestalten wie Alba, die ihre Wurzellosigkeit und Verzweiflung hinter einer schnodderigen Schnauze verstecken, finden sich auch in Berlin-Mitte. Insofern wäre eine Übersetzung ins Deutsche durchaus vorstellbar, sofern sich ein Verlag findet, der sich traut, junge, freche Literatur zu machen, bei der die Geschichte weniger wichtig ist als die Stimme der Erzählerin – und um die angemessen wiederzugeben, bedürfte es einer besonders guten Übersetzung.
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