La conspiración de los conspiranoicos (Die Verschwörung der Verschwörungsparanoiker)
Autor: Felipe Benítez Reyes
Verlag: Editorial Renacimiento, Valenciana de la Concepciòn (Sevilla) 2020, 254 Seiten
Gutachterin: Michaela Meßner
Der 1960 in Rota geborene und vielfach ausgezeichnete spanische Autor Felipe Benítez Reyes hat neben Romanen auch Gedichte, Essays und Kurzgeschichten geschrieben, u.a. bekam er für den Roman Mercado de espejismos den Nadal-Preis verliehen; weitere wichtige Titel sind: El novio del mundo, El pensamiento de los monstruos, El azar y viceversa. Zudem hat er Werke von T.S. Eliot, Francis Scott Fitzgerald und Vladimir Nabokov übersetzt. In Deutschland wurde bislang keines seiner Bücher veröffentlicht.
Mit La conspiración de los conspiranoicos gelingt Benítez Reyes ein sehr unterhaltsames Buch über die spanische Verschwörungstheoretikerszene, das sich gegen Ende zu einer ernsten Bestandsaufnahme der Bedrohungen unserer Welt wandelt, ohne je das Register der Komik zu verlassen. Schreiben war für den Autor offenbar das kathartische Heilmittel der Wahl, um den Lockdown zu Corona-Zeiten zu überstehen und mit seinem Humor die Leser dazu zu bringen, über etwas zu lachen, das eigentlich überhaupt nicht lustig ist.
Eine Stammtischgruppe in Cádiz, die sich aus dem Literaturclub der Öffentlichen Bibliothek entwickelt hatte – bestehend aus vier Männern und einer Frau – trifft sich nach mehrmonatigem Lockdown einmal die Woche abwechselnd in einschlägigen Cádizer Bars (Bar Liba, Bar Brim, Café de Levante, Casino Gaditana …), um dort ihren abstrusen Verschwörungstheorien freien Lauf zu lassen, das aktuelle Pandemiegeschehen zu kommentieren – und sich dabei gehörig in die Wolle zu geraten, wenn auch fast immer auf liebenswerte Art und Weise. Die illustre Gruppe ist noch dazu gut organisiert: einmal pro Monat darf jeweils ein Mitglied eine Rede halten und seine individuelle Theorie verteidigen, die dann von allen durch die Mangel gedreht und gelegentlich auch samt und sonders verworfen wird. Hierbei veranschaulicht der Autor auf höchst amüsante Weise, was dabei herauskommt, wenn fünf Laien mit emotionalem Leidensdruck, Internetzugang und einer chronischen Anfälligkeit für aberwitzigste Theorien wechselweise die Chinesen, die Kondensstreifen, die Oligarchenelite, satanistische Päderasten, die Freimaurer, die Kommunisten, die Illuminati, die 5G-Technologie, Bill Gates, George Soros oder die Meteorologenmafia für ihr Elend und den bedrohten Weltfrieden verantwortlich machen.
Der Ich-Erzähler, Lorenzo Aguado Menéndez, ein Verwaltungsangestellter des Finanzamts, gibt sich erst spät zu erkennen und fungiert im Wesentlichen als halbwegs neutraler Chronist. Tomi Guerra ist der Intellektuellste der Gruppe, ein ehemaliger Lehrer mit enzyklopädischem Wissen, der seine Argumente gerne der Literatur entnimmt. Enrique Beltrami, geschieden, erotisch im Ungleichgewicht, zunehmend dem Alkohol zugeneigt (was seinen Argumenten immer stärker schadet), ist der pessimistischste von allen, allerdings ein strikter Leugner der Existenz von Ufos und Außerirdischen. Mangoli, Eventmanager bei der Bezirksverwaltung, an einer Schlafstörung leidend, depressiv und internetsüchtig, verfolgt regelmäßig die alternativen Medien, vertraut auf die Weisheit der mittelalterlichen Mönche und sitzt so ziemlich jeder neuen Fake-News-Mutante auf. Montse Montenegro hingegen, die einzige Frau in der Runde, geschieden, Kindergärtnerin, agiert als Verteidigerin des Katholizismus und der Gottesidee im Allgemeinen und hat einen geschärften Blick für satanistische Päderasten-Verschwörungen. Allen Protagonisten gemein ist eine gewisse Desillusionierung in Liebesdingen, sie sind entweder geschieden oder wurden verlassen. Es wäre ermüdend, sämtliche realen und erfundenen Thesen aufzuzählen, die hier durch den Kakao gezogen werden. Die Komik wird durch Überspitzung erzielt und beim Lesen dieses Romans kommt man nicht umhin, die Figuren am Ende irgendwie auch zu mögen. Man empfindet eine gewisse Sympathie für diesen Trupp an liebenswerten Verlierern und ihre abstrusen Thesen.
Das Ende naht, als Montse als erste die WhatsApp-Gruppe verlässt, bald gefolgt von Tomi Guerra. Dieser hat allerdings einen groben Verrat begangen: Über ein Zeitungsinterview erfährt die gerupfte Tertulia, dass er sich lediglich als Spion eingeschleust hatte, um sich in einem Roman mit dem Titel Die Verschwörung der Verschwörungsparanoiker über ihre krausen Ideen lustig zu machen.
Auch im Roman ist jetzt Schluss mit lustig, denn in einem weiteren Interview spricht Tomi Guerra sämtliche Themen an, die uns als Menschheit tatsächlich unter den Nägeln brennen - Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, Einwanderung, Klimawandel, Kinderarmut und Umweltverschmutzung – und zeigt auf, wie unfähig wir sind, uns den ganz banalen, jeder Science-Fiction-Zauberei entkleideten Problemen zu stellen. „Alle großen Kriege sind im Wesentlichen Kriege zwischen großen Egos, nicht zwischen Ländern“. Sein Buch bezeichnet er allerdings als „ein Liebeslied auf die Idiotie.“
Den Schluss bildet eine Zeitungsnotiz, in der ein Lehrer im Fach Literatur, der seine Angst vor dem Virus durch das Tragen doppelter Masken und Latexhandschuhe in den Griff zu bekommen versucht, seine Schüler in einem Ausraster als „Vatermörder, Völkermörder, Hirnis und Botelloneros“ beschimpft hatte. Er wurde in die psychiatrische Abteilung einer Klinik eingeliefert wird - die ausgerechnet von einem Impfgegner geleitet wird.
Das Buch ist geprägt durch einen sehr witzigen, ironischen Sprachstil; kurze, pointierte Analysen, daneben wieder lange Schachtelsätze und bombastische Worthülsen typischer Verschwörungstheoretikerdiskurse, von Seiten der Erzählerstimme viele erläuternde Einschübe zwischen Gedankenstrichen oder in Klammern gesetzt. Herrlich absurde Dialoge, in denen die Protagonisten mit viel Sympathie gezeichnet werden. Der Text enthält auch einige Wortspiele, (cinismo – chinismo; pandemia – plandemia; conspiranoicos – oficialnoicos). Für die Übersetzung sollte man sich in das Vokabular der jeweiligen Verschwörungstheorien sowie in den Sprachstil aus den Kommentarfunktionen der Presse einlesen.
Diese ironische und unterhaltsame Satire verdient eine Übersetzung ins Deutsche, sollte das Thema nicht dem Überdruss zum Opfer fallen – doch der darin geschilderte Irrsinn wird wohl nicht so bald ein Ende finden.
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