Gutachterin: Susanna Mende
In der Einführung zu diesem prächtigen Band über das Thema des Todes in der mexikanischen Druckgrafik wird zu Beginn eine Definition des Schlüsselbegriffs „calavera“ geliefert.
Wie der Leser erfährt, handelt es sich hierbei im mexikanischen Spanisch nicht nur um die Bezeichnung für „Totenschädel“, sondern für das ganze Skelett, und dieser Band widmet sich in 8 Kapiteln und reich bebildert der Geschichte der Totendarstellungen als Skelette in der mexikanischen Druckgrafik, die sich vor allem durch ihre fröhliche, vor allem aber auch schwarzhumorige und abgründige Seite auszeichnet und besonders im 19. und 20. Jahrhundert der Thematisierung und Denunziation gesellschaftlicher und politischer Missstände diente.
Viele Volksgruppen des alten Mexiko kann man wegen ihrer Faszination für Skelette und Totenköpfe als „Kulturen des Todes“ bezeichnen. Sterben als konstantes Widergeborenwerden ist Teil des Grundverständnisses und findet so seinen Ausdruck in der bildhaften Darstellung des Knochenmannes. Mit der Conquista werden diese Kulturen vernichtet, es gibt auch keine Vermischung, sondern allein der katholische Glaube setzt sich durch. Die im Rahmen dieses Glaubens entstandenen Skelettdarstellungen repräsentieren auf ernsthafte und dramatische Weise stets den Tod.
Im Kontrast dazu steht der Mitte des 18. Jahrhunderts in Mexiko auflebende Totenkult als „cultura con carácter festivo“ (festivo: scherzhaft, lustig, witzig), der erst durch die Einrichtung öffentlicher Friedhöfe möglich wird und in vielfältigen Darstellungen Eingang in die sich aufgrund technischer Möglichkeiten wachsende Zahl druckgrafischen Erzeugnisse findet.
Der Band dokumentiert die wichtigen Etappen dieser Entwicklung, von der ersten bedeutenden Publikation La portentosas vida de la Muerte von Joacquín de Bolaños im Jahr 1792 mit 18 Kupferstichen von Francisco Agüera Bustamente, die zum großen Teil in dem Band zu finden sind, bis zur mexikanischen Unabhängigkeit, die eine Befreiung von kirchlicher Zensur und Privilegien der spanischen Krone bringt.
Eine wichtige Rolle spielen hier die zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo die Politik mit humoristischen Mitteln angegriffen wird, wofür Skelette und Totenköpfe in der Karikatur probate Symbole sind. Auf die Bedeutung der technischen Entwicklung wird ebenfalls eingegangen (das Drucken von Zeichnungen und den dazugehörigen Versen), z.B. der Einführung der Heliogravur Ende des 19. Jahrhunderts.
Den großen Namen der Grafikkunst sind jeweils eigene Kapitel gewidmet. Dazu gehören Manuel Manilla (1830-1890), der als Vater bzw. Begründer der Tradition gilt, Julio Ruelas (1870-1907), der für seine makabren Darstellungen auf die Calavera-Tradition zurückgreift, und als berühmtester, produktivster und volksnaher Vertreter dieser Kunstform José Guadelupe Posada (1852-1913), der in seinen Arbeiten das Elend unter der Diktatur von Porfirio Diaz anprangerte und diverse Zeitschriften gründete. Die Werke dieser drei Künstler sind in zahlreichen Abbildungen umfassend dokumentiert.
Doch geht der Band auch in die Breite (insgesamt sind die Arbeiten von 80 Künstlern abgebildet) und zeigt, dass die Tradition von Todesdarstellungen in der
Druckgrafik von zahlreichen anderen Künstlern aufgenommen wurde und bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts selbstverständlicher Bestandteil in Zeitungen und Zeitschriften war.
Neben den zahlreichen Abbildungen und kenntnisreichen Texten von Mercurio López Casillas beeindruckt der Band durch seine gute und dem Thema angemessene Papierqualität und den Einband mit Leinenbuchrücken und festen Buchdeckeln.
Eine Anmerkung zur Publikation auf dem deutschen Markt: Die Zweisprachigkeit der Ausgabe in Spanisch und Englisch sollte wahrscheinlich von vornherein die Möglichkeit eröffnen, „aficionados“ der Calavera-Druckgrafiken auf internationaler Ebene anzusprechen. Eine Monographie über den Künstler Manuel Manilla von Mercurio López Casilla ist ebenfalls 2008 in Englisch und Spanisch erschienen und bei der deutschen Buchhandlung Walther König bereits erhältlich. Die Frage ist, ob eine eigene deutsch-spanische Ausgabe von La Muerte en el impreso mexicano ein noch größeres Publikum im deutschsprachigen Raum erobern könnte. Um das zu erreichen, würde ich zwar inhaltlich nichts ändern, das Buch aber noch üppiger und wertvoller aufmachen. Dazu wäre ein renommierter Verlag nötig, der sowohl das Kapital zur Produktion als auch die Vertriebsmöglichkeiten hätte, um einen solchen Titel zu platzieren.
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