Los senderos del mar (Die Wege des Meeres)
Autorin: María Belmonte
Verlag: Acantilado, Barcelona, 2017, 229 Seiten
Genre: Literatur
Gutachterin: Ursula Bachhausen
María Belmontes Los senderos del mar ist so viel mehr als ein Reisebericht. Die Autorin erwandert die baskische Küste zu Fuß und nimmt dies zum Anlass, persönliches Erleben, Erinnerungen und fundiert recherchiertes Wissen über den mal wilden, mal mondänen Landstrich am Golf von Biskaya auszubreiten. Ein gelungenes Beispiel von Nature Writing!
Daraus, dass sie ein großer Fan des renommiertesten Vertreters des britischen Nature Writing, Robert MacFarlane, ist, macht die aus dem baskischen Bilbao stammende Autorin und Übersetzerin keinen Hehl. Nach ihrem ersten Buch Peregrinos de la Belleza, in dem sie in den Fußstapfen von Autoren wie Goethe, Winckelmann oder D.H. Lawrence auf Spurensuche durch ein klassisches Italien und Griechenland wandelte, nimmt sie sich in ihrem neuen Buch Los senderos del mar die Küste ihrer Heimat vor.
Ausgangspunkt ihrer Wanderungen ist das französische Bayonne, in dem sie in ihrer Jugend ein Internat besuchte. Sie nimmt den Leser mit in die Gassen der Altstadt, an die Ufer der beiden Flüsse, die die Hauptstadt des französischen Teils des Baskenlandes durchziehen und lässt ihre Gedanken zurück zu ihrer Schulzeit schweifen, aber auch zum französischen Schriftsteller Victor Hugo, der sich für eine Weile in Bayonne niederließ.
Von dort aus erwandert sie Stück für Stück die baskische Küste und zeigt sie dem Leser in ihrer ganzen Schönheit und Faszination, mal ganz subjektiv, wenn sie davon schwärmt, wie schön es ist, im Schatten eines Leuchtturmes zu sitzen, mal objektiv, wenn sie die eigenen Beobachtungen in einen größeren Kontext stellt. Alles, was sie unterwegs sieht, hört, riecht oder schmeckt, bietet Anlass zu einer längeren, interessanten, populärwissenschaftlich aufbereiteten Ausschweifung zu einem passenden Thema.
So erfährt der Leser, warum Bienenwaben sechseckig sind und dass die meisten der wuchtigen Wellen, die an der baskischen Küste brechen, aus der Labradorsee, östlich von Neufundland, stammen und bereits eine Reise von mehr als 5.000 Kilometern hinter sich haben, wenn sie auf die Felsen und Klippen zwischen Biarritz und der Costa Cantábrica treffen. Die Autorin erzählt davon, wie Orte wie Biarritz und San Sebastián aus kleinen, einst verschlafenen Dörfern zu mondänen Seebädern wurden, wie Badegäste allmählich die Fischer von den Stränden verdrängten und die Gegend später zum Surfer-Hotspot wurde sowie von der langen Geschichte der baskischen Walfänger und ihrer Bedeutung für die lokale Gesellschaft. Dann wieder nimmt sie Moose und Flechten unter die Lupe, berichtet über bestimmte Gesteinsformationen, die an der baskischen Küste zu finden sind und auf den Meteoriteneinschlag schließen lassen, der zum Aussterben der Dinosaurier führte. Manches mag bekannt sein, vieles ließe sich durch wenige Klicks im Internet recherchieren, doch Belmonte gelingt es, ein enges Band zwischen dem Wissen und der von ihr beschriebenen Landschaft zu weben.
Ebenso faszinierend wie die großen Linien der Erd- und Menschheitsgeschichte, die sich im Baskenland auf kleinem Raum erahnen lassen, sind die persönlichen Begegnungen der Autorin mit den Einwohnern der von ihr durchwanderten Orte, wie dem alten Mann, der sich seit seiner Pensionierung ehrenamtlich um die Instandhaltung des Küstenwanderwegs kümmert, oder das Zusammentreffen mit Wanderern auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela, mit Künstlern oder mit dem legendären Sportler Iñaki Perurena, der nicht Gewichte stemmt, sondern Steine von 300 und mehr Kilogramm.
Ein stetiger Begleiter ihrer Wanderungen sind Autoren wie Pío Baroja oder Lord Byron, der begnadete Schwimmer, an dessen Werk sie sich erinnert, als sie an ihren Lieblingsstrand kommt. Literarisches Nature Writing verweist so intertextuell über sich selbst hinaus und stellt nicht nur die Landschaften in einen größeren kulturellen und historischen Zusammenhang, sondern auch den eigenen Text. Der Leser ist eingeladen, auch den literarischen Landmarken zu folgen, die Belmonte lustvoll und unaufdringlich errichtet.
Der Text fließt, er ist kein Sachbuch und kein Wanderführer, kein Prosastück und kein Tagebuch, doch es steckt von allem etwas darin. Detailgenau und gründlich in der Recherche, ebenso interessiert an Kulturhistorischem wie an Geologie, Flora und Fauna, an Autoren von Aristoteles über Goethe bis zu Thoreau und zugleich zutiefst subjektiv im Ausloten der von der Landschaft ausgelösten Empfindungen, reiht er sich ein in den aktuellen Trend zur literarischen Erforschung der Natur bzw. des Menschen in der Natur.
María Belmontes Los senderos del mar ist eine Liebeserklärung an eine wunderschöne Gegend und eine Einladung, es der Autorin gleichzutun und die baskische Küste zu Fuß neu zu entdecken. Es macht Mut, dass auch die Autorin die Strecke nicht in einem Stück, sondern in mehreren Etappen mit teilweise längeren Unterbrechungen gewandert ist. Mit Sicherheit sieht, hört, riecht und schmeckt der Leser nach der Lektüre dieses bereichernden Buches bei eigenen Wanderungen unvergleichlich viel mehr als zuvor.
Einen Wermutstropfen gibt es allerdings: Leider illustrieren nur wenige Fotos die Erzählungen der Autorin über die baskische Küste.
Fazit: Ich empfehle María Belmontes Los senderos del mar unbedingt zur Übersetzung ins Deutsche, gerade weil das Buch ein weniger bekanntes, aber faszinierendes Bild der baskischen Küste zeichnet, die vielen allenfalls als Bade- oder Surfsportdestination mit unsicherer Wettergarantie bekannt ist.
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