María Blanchard. Como una sombra (Marie Blanchard. Wie ein Schatten)
Autor: Baltasar Magro
Verlag: Alianza Editorial, Madrid 2020, 175 Seiten
Gutachterin: Martina Mauritz
Baltasar Magro rückt mit seinem Künstlerroman María Blanchard. Como una sombra die spanische Malerin in den Fokus, die neben Pablo Picasso und Juan Gris einen originären Beitrag zur Entwicklung des Kubismus leistete: Marie Blanchard (1881 – 1932). War ihr Einfluss im Paris der 1910er und 20er zeitlebens groß und ihre künstlerische Sprache innovativ und originell, wurde sie schon bald nach ihrem Tod vergessen. Die Spurensuche nach Frauen als Protagonistinnen der Kunstwelt und die Revision der traditionellen Kunstgeschichtsschreibung setzte mit der Frauenbewegung der 1970er an, doch auch ein halbes Jahrzehnt später bleibt noch viel zu tun; Magros Blick auf Blanchards letzte Lebenswochen leistet dazu einen soliden Beitrag.
Baltasar Magro (*1949, Toledo) ist in Spanien als Fernsehjournalist und vor allem als Moderator des wöchentlichen Nachrichtenmagazins Informe Semanal und der Interviewreihe De Cerca bekannt. Für seine Reportagen und journalistischen Beiträge hat er mehrere renommierte Preise erhalten. Seine literarische Karriere begann er vor fast 20 Jahren mit dem historischen Roman El círculo de Juanelo, es folgten viele weitere, darunter auch Krimis; sein Kinderbuch El secreto de las hormigas erhielt 2019 den amerikanischen Moonbeam Children's Book Award. Als studierter Kunsthistoriker hat er sich nach dem Roman La luz del Guernica (2012) – über die Entstehung von Picassos berühmtestem Gemälde – mit Marie Blanchard erneut der Malerei der „Schule von Paris“ zugewandt.
Magro nähert sich der Malerin in ihren letzten drei Lebensmonaten. Ihre Kindheit und Jugend in Santander an der kantabrischen Küste, ihre Ankunft in der Kulturmetropole Paris, die Suche nach der neuen kubistischen Formensprache an der Seite von Picasso, Juan Gris, Amedeo Modigliani und Diego Rivera, ihr Erfolg beim Publikum, all das wird rückblickend in Gesprächen und Gedanken kaleidoskopartig angerissen. Der Roman erstreckt sich über die Tage vom 27. Dezember 1931 bis zum Todestag der Malerin am 5. April 1932. In dieser Zeit bewegt sich Blanchard nur noch in der Gesellschaft ihrer Schwester Carmen und weniger Freundinnen, wie Angélina Beloff, die erste Frau des mexikanischen Malers Diego Rivera, mit dem Blanchard gut befreundet war.
Die Tuberkulose und ihr schlechter Gesundheitszustand ganz allgemein lässt sie um jede Minute kämpfen, in der sie noch malen kann. Sie ist eigensinnig, entschlossen und rücksichtlos gegenüber sich selbst. Sie weiß, was sie als Künstlerin geleistet hat, und sie kennt die Qualität ihrer Arbeit, aber auch den Kunstmarkt und ihre Position als zweifach Benachteiligte; zum einen ist sie eine Frau, zum anderen hat sie eine körperliche Behinderung, die auf manche abstoßend und mitleiderregend wirkt und sie auf der Straße den Hänseleien der Kinder aussetzt. Blanchard hat sich in ihren letzten Jahren in die Einsamkeit ihres Ateliers zurückgezogen und in der Religion eine Zuflucht gefunden. Ihr erklärtes Ziel ist die Malerei. Der Roman beschreibt die Motive und Gattungen ihrer letzten Arbeiten, den Wandel von den abstrakten kubistischen Bildern zur Gegenständlichkeit der 1920er Jahre, die Eigenheiten ihrer Figuren sowie Urteile und Einschätzungen ihrer Künstlerkollegen und Sammler.
Blanchard hat noch einige ausstehende Aufträge in Arbeit, doch der kalte Winter und ihr fortschreitender körperlicher Verfall machen ihr ein Vorankommen nicht leicht. Deswegen wehrt sie die Bitte des jungen André Raynald ab, der sie um eine zweite Version eines verschollenen Porträts bittet, in dem er seine Mutter zu erkennen glaubt. Trotz ihrer unmissverständlichen Ablehnung lässt Blanchard das verschwundene Porträt nicht los, sie forscht in ihrer Erinnerung und mit der Zeit holt sie die Figur aus ihrer Vergangenheit hervor und erschafft das Porträt neu. Magro beschreibt an dieser Stelle die Fähigkeit der sensiblen Künstlerin, Personen exakt wiederzugeben, ohne dass diese Modell saßen; ihre erstaunliche visuelle Auffassungsgabe ließ sie allein aus der Erinnerung heraus die Physiognomie und den Charakter eines Menschen rekonstruieren. So geht sie nun mit der vor Jahren Porträtierten vor, die sich in der Tat als die Mutter Raynalds herausstellt. Dies wird am Romanende nur beiläufig erwähnt und zeigt, dass es in Como una sombra nicht um Handlung und Geschichte geht, sondern um das Porträt einer zu Unrecht vergessenen spanischen Malerin.
Sollte das nicht klar genug geworden sein, bezieht Magro im Anhang klar als Verfechter einer gendergerechten Kunstgeschichtsschreibung Stellung. Für ihn ist Blanchard die „spanische Frida Kahlo“ in einer von Männern bestimmten Kunstwelt, und er möchte sie als einzigartige Künstlerin an der Speerspitze der Avantgarde des 20. Jahrhunderts gewürdigt sehen. Dass ihre Bilder im Museo Reina Sofia in Madrid oft denen der berühmteren Kollegen weichen müssen oder sie lange bei Auktionen zur Gewinnoptimierung dem berühmteren Juan Gris zugeschrieben wurden, sei Konsequenz des zweiten Todes der María Blanchard, dem Vergessen durch Kunstgeschichte und -kritik.
Die Interpretationen von Blanchards Bildfiguren als Spiegel ihres eigenen Leids und die Darstellung ihrer Kunst als Mittel zur Überwindung ihrer Ausgegrenztheit sind nicht frei von Klischees, dies gepaart mit der vielfachen Erwähnung ihrer finanziellen Unterstützung der eigenen Familie und kirchlicher karitativer Organisationen lässt sie stark idealisiert erscheinen. Als Romanfigur fehlen María die Ecken und Kanten und dem Roman mangelt es etwas an story, als Literatur gewordene Malerin hat Blanchard allerdings ihre Berechtigung, denn auch die Belletristik trägt dazu bei, das schiefe Bild der traditionellen Kunstgeschichtsschreibung zurechtzurücken.
Um sich auch literarisch dem Thema zu nähern, ist das Publikum in Deutschland in den letzten Jahren durch Ausstellungen und Akquisitionen der Werke zu Unrecht vergessener Künstlerinnen in namhaften Museen hinreichend sensibilisiert (auf die Kunst der 1920er Jahre bezogen zum Beispiel Lotte Laserstein, Elfriede Lohse-Wächtler, Jeanne Mammen oder Renée Sintenis). Und auch wenn die Spanierin „Marie Blanchard“ im Titel unbekannt sein sollte, Picasso, Gris, Modigliano oder Diego Rivera im Klappentext sind es nicht. Und ich bin mir sicher, dass für die meisten „nach“ der Lektüre des Romans ein „Vor“ der weiteren Beschäftigung mit dieser interessanten und wichtigen Künstlerin folgen wird.
Como una sombra ist flüssig geschrieben und lässt sich mit seinen kurzen Kapiteln gut lesen; ich sehe sprachlich keine Schwierigkeiten für eine Übersetzung.
Den Mann hielt es kaum auf dem Stuhl. Aus der Hüfte nahm er Schwung und reckte sich nach vorn, den linken Arm gerade durchgedrückt...
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