Mi Lazarilla, Mi Capitán (Meine Blindenführerin, mein Kapitän)
Autor, Illustratorin: Gonzalo Moure (Text), María Girón (Illustration)
Verlag: Kalandraka Editora, Pontevedra 2020, 24 Seiten
Genre: Bilderbuch
Gutachterin: Silke Kleemann
Zusammenfassung
Zarte Geschichte über die innige Beziehung zwischen einem Mädchen und ihrem blinden Vater, der sie jeden Morgen zu Fuß in die Schule bringt.
Hintergrundinformation
Gonzalo Moure (*1951 in Valencia) ist ein renommierter Kinder- und Jugendbuchautor, der für seine Bücher in Spanien so ziemlich alle wichtigen Auszeichnungen erhalten hat: Premio Gran Vapor, Premio Gran Angular, Premio Ala Delta, Premio Primavera, Premio Jaen und zuletzt 2017 den Premio Cervantes Chico; ebenso war er mit Werken auf der Auswahlliste des White Ravens und der Ehrenliste der IBBY vertreten. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt bei Themen zu sozialer Gerechtigkeit.
Maria Girón (*1983 in Barcelona) studierte Kunst in Barcelona, Bologna und Sevilla und spezialisierte sich auf Kinderbuchillustration, nachdem Arbeiten von ihr für eine Sammelausstellung auf der Kinderbuchmesse in Bologna ausgewählt worden waren. 2021 erschien ihr Bilderbuch Arthur und der Elefant ohne Erinnerung beim Jumbo-Verlag.
Inhalt
Ein kleines Mädchen wird von ihrem Vater in die Schule gebracht, die beiden gehen Hand in Hand. Die Besonderheit: Der Vater ist blind, das Mädchen selbst ist ebenfalls sehbehindert und trägt auf einem Auge eine Augenklappe. Der blinde Vater hat eine so feine Wahrnehmung, dass er genau weiß, wo er sich gerade befindet und sogar Bekannte erkennt, die an ihnen vorübergehen. Zusätzlich taucht er mit seiner Tochter in eine Phantasiewelt ein, die vor allem mit Tieren bevölkert ist. Spielerisch greifen die beiden dafür Automarken auf (VW Käfer, Jaguar, Sean León/Löwe) oder lauschen auf Geräusche in der Umgebung und füllen diese mit Geschichten auf. Am aufregendsten ist es, wenn sie die große Straße überqueren müssen: 28 Schritte für das Mädchen, 16 für den Vater mit seinen langen Beinen. Der traurige Moment kommt, als sie sich vor der Schule verabschieden müssen. Aber das Mädchen weiß, in fünf Stunden kommt der Vater sie wieder abholen, und das Buch schließt mit dem schönen Satz „Hallo, Hand. Tschüss, Traurigkeit“.
Bewertung
Gonzalo Moure erzählt ungemein feinfühlig eine anrührende Geschichte. Darin spielt die Behinderung von Vater wie Tochter nur eine Nebenrolle, bzw. macht vielleicht gerade diese Behinderung und die daraus erwachsende gegenseitige Unterstützung die Beziehung der beiden so besonders. Die zugleich an Fotografien wie auch an Aquarelle erinnernden Illustrationen von Maria Girón ergänzen die Erzählung hervorragend, ihr ist es wunderbar gelungen, das „Einfallen der Phantasie“ in die Vater-Tochter-Welt bildlich umzusetzen. Trotz der emotionalen Intensität der Erzählung entsteht so eine heitere Note und für die kleinen Leser gibt es viele hübsche Details zu entdecken, z.B. findet sich auf jeder Seite ein blaues Äffchen, wenn man nur genau genug hinsieht.
Das Thema scheint auf den ersten Blick eher an eine Minderheit gerichtet zu sein, Menschen mit Behinderung, die zentrale Botschaft des Zusammenhaltens und der Kraft, die aus einer liebevollen, sicheren Beziehung erwächst, sind aber natürlich universell gültig.
Im Spanischen klingt im Titel Mi lazarilla, mi capitán der klassische Schelmenroman Lazarillo de Tormes an. Inspiriert von dieser literarischen Figur werden in Spanien Blindenhunde und Blindenführer bis heute „lazarillo“ genannt – das ist eine Anspielung (noch dazu hier hübsch umgewandelt zu der weiblichen Form „lazarilla“), die im Deutschen leider nicht zu retten ist, für den Titel braucht es also eine kreative neue Lösung.
Hinweis auf Übersetzungsmöglichkeiten
Abgesehen von der Titelfrage sollte die Übersetzung keine größeren Schwierigkeiten bereiten, und ich empfehle dieses besondere Buch gern zur Veröffentlichung.
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