Miss Marte (Miss Marte)
Autor: Manuel Jabois
Verlag: Penguin Random House, Barcelona 2021, 201 Seiten
Gutachter: Carsten Regling
In seinem Roman Miss Marte (Miss Mars) erzählt der galicische Autor Manuel Jabois vom spurlosen Verschwinden eines dreijährigen Mädchens und dem späteren Selbstmord der Mutter in einem kleinen galicischen Fischerdorf und der Rekonstruktion dieses Falles fünfundzwanzig Jahre später durch eine Journalistin, die einen Dokumentarfilm über die damaligen Ereignisse dreht und dazu verschiedene Dorfbewohner und Freunde der Mutter des verschwundenen Kindes befragt. Auf diese Weise gelangt nach und nach Licht in die rätselhafte, düstere Geschichte, bis es schließlich zu einer überraschenden Auflösung kommt.
Der 1978 im galicischen Sanxenxo (Pontevedra) geborene Schriftsteller und Journalist Manuel Jabois hat bislang drei Romane, eine Sammlung journalistischer Artikel und ein Werk über die Anschläge des 11. März 2004 in Madrid veröffentlicht. Bisher ist keines seiner Bücher ins Deutsche übersetzt worden.
Im Jahr 1993 taucht Mai Lavinia, ein etwa achtzehnjähriges Mädchen, mit ihrer zweijährigen Tochter Yulia in dem galicischen Küstenort Xaxebe auf. Die junge, sonderbare Frau, über deren Herkunft und Charakter alle rätseln, nimmt sich ein Zimmer in der Pension von Pepe Galvache, freundet sich mit einer Clique junger Dorfbewohner und Sommergäste an und beginnt ein Verhältnis mit Santiago Galvache, dem Sohn des Pensionswirtes. Mai und Santiago verlieben sich ineinander, sie zieht mit ihrer Tochter zu ihm in sein Elternhaus, und bereits ein Jahr später heiraten die beiden. Doch in der Hochzeitsnacht verschwindet Mais Tochter plötzlich. Für die junge Mutter steht fest, dass Yulia entführt wurde (und tatsächlich haben mehrere Zeugen in den Tagen vor der Hochzeit einen fremden Mann im Ort gesehen, von dem Mai jedoch behauptet, es sei ihr Vater, der nach ihr gesucht habe), doch die Ermittlungen der Polizei bleiben ergebnislos, woraufhin Mai sich immer mehr zurückzieht und in einen Zustand von Apathie und geistiger Verwirrung verfällt, bis sie ein Jahr später ebenfalls verschwindet. Ein Zeuge will jedoch gesehen haben, wie sie aufs Meer hinausgeschwommen ist, offenbar in der Absicht, Selbstmord zu begehen. 1999, fünfundzwanzig Jahre nach dem Verschwinden des jungen Mädchens, kommt die Journalistin Berta Soneira in den Ort, um einen Dokumentarfilm über die damaligen Ereignisse rund um Mai Gaviria und ihre Tochter zu drehen. Begleitet wird sie von einem Kameramann und einem Assistenten: dem namenlosen Ich-Erzähler des Romans, einem Journalisten, der aus Xaxebe stammt und 1993 ebenfalls der Clique um Santiago und Mai angehörte und der jetzt in seine Heimat zurückkehrt, um die Journalistin als Ortskundiger bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Im Laufe ihrer Arbeit führt die etwas eigenwillige Journalistin zahlreiche Interviews mit Personen, die 1993/94 auf die eine oder andere Weise mit Mai Lavinia zu tun hatten. Zu diesen Personen zählen Pepe und Santiago Galvache, der Dorfpolizist Julio Sardinas, der damalige Bürgermeister, eine Barbesitzerin, eine Putzfrau, die für die Familie Galvache gearbeitet hat, und mehrere Freunde von Santiago, darunter auch der Ich-Erzähler selbst. Aus all diesen Stimmen (und den Betrachtungen und Kommentaren des Ich-Erzählers, der seine eigene Sicht auf die damaligen Ereignisse hat und auch die Arbeit an dem Dokumentarfilm reflektiert) ergibt sich nach und nach ein Bild der damaligen Ereignisse, das einer möglichen Wahrheit nahe kommt: Mai Lavinia war in Barcelona in psychologischer Behandlung, bis sie Yulia, die zweijährige Tochter eines befreundeten Ehepaars ihrer Eltern, entführte, mit dem Kind an die galicische Küste floh und es dort als ihre eigene Tochter ausgab (im wahnhaften Glauben, dass Yulia dies tatsächlich war). Was wiederum den Schluss zulässt, dass es sich bei dem fremden Mann, der kurz vor dem Verschwinden des Mädchens gesehen worden war, um den Vater des Mädchens handelte, und dieser nur seine Tochter zurückholte, ohne Mai, die er schließlich kannte, der Polizei auszuliefern. Dass dies tatsächlich so gewesen sein könnte, ergibt sich auch daraus, dass der Ich-Erzähler am Tag der Abreise der Journalistin von dieser aus Andeutungen erfährt, dass es sich bei ihr, Berta Soneira, in Wahrheit um die damals verschwundene Yulia handelt. Somit wäre der Dokumentarfilm der Journalistin in Wahrheit eine Recherche über die Frau, die sich fünfundzwanzig Jahre zuvor als ihre Mutter ausgegeben hat.
Manuel Jabois’ Buch ist eine Art literarische Reportage (über eine erfundene Geschichte), eine Mischung aus Literatur und fiktiver Chronik, was sich auch in seinem Stil und seiner Sprache widerspiegelt. Neben sachlichen Beschreibungen finden sich literarische Passagen in einer atmosphärisch dichten Sprache. Dabei bedient sich der Autor immer wieder dem Stilmittel der Auslassung, wodurch sich dem Leser erst nach und nach und auf spannende Weise die Zusammenhänge zwischen den Ereignissen der Jahre 1993/94 und der Gegenwart, aus der heraus erzählt wird, erschließen.
Miss Marte von Manuel Jabois ist ein überzeugender, auf intelligente Weise spannender Roman (die stückweise Auflösung des „Falles“ und die fast detektivische Recherche inklusive der „Zeugenbefragungen“ erinnern bisweilen an einen Kriminalroman) rund um die Themen Erinnerung und Identität. Jabois gelingt es, inhaltlich und stilistisch eine ganz spezielle Atmosphäre zu erschaffen (zu der auch der Handlungsort, die raue galicische Küste, beiträgt), die den Leser mit jeder Seite tiefer in die rätselhafte Geschichte eintauchen lässt.
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