Novel·la (Der Roman)
Autor: Pol Beckmann
Verlag: Quaderns Crema, Barcelona, 2018, 160 Seiten
Genre: Roman
Gutachterin: Kirsten Brandt
Pol Beckmann (Barcelona, 1991) ist Journalist und Autor von Kurzgeschichten, mit denen er bisher mehrere Preise gewonnen hat. Novel·la ist sein erster Roman.
Bekman wartet in einem Café auf seine Frau Sofia, um ihr ein Geständnis zu machen: Obwohl er sie über alles liebt, hat er seit ein paar Monaten ein Verhältnis mit einer anderen. Wie konnte das passieren? Es ist Bekman selbst ein Rätsel, denn Sofia ist die perfekte Frau, und auch ihre Beziehung ist perfekt. Seit er sie an der Rezeption einer Arztpraxis zum ersten Mal gesehen und kurz darauf auf der Straße angesprochen hat, sind die beiden unzertrennlich. Gemeinsam erleben sie – Sofia, die begabte Oboistin, die ihre Arbeit als Sprechstundenhilfe aufgegeben hat, um sich ganz der Musik zu widmen, und er, der vielversprechende Jungautor – romantische Sonnenuntergänge, göttlichen Sex, lauschige Abende am Kaminfeuer. Kurz darauf feiern sie eine rauschende Hochzeit, verbringen wunderbare Flitterwochen und leben glücklich zusammen. Und doch lässt sich Bekman, für ihn völlig unbegreiflich, nach einer Party auf eine Nacht mit Laura ein, die Sofia erstaunlich ähnlich sieht, ohne deren Vollkommenheit zu besitzen. Und obwohl er sich vornimmt, sie nie wiederzusehen, trifft er sich immer wieder mit ihr, betrügt Sofia immer wieder. Sein bester Freund Dresden, der einzige, den er ins Vertrauen zieht, rät ihm, sich von Sofia zu trennen, da sie ihm nicht gut tue. Und so beichtet Bekman seiner Traumfrau schließlich seine Affäre mit Laura, und Sofia erträgt die Trennung mit gebrochenem Herzen, aber bewundernswerter Fassung und sagt Bekman, dass sie jederzeit für ihn da sein, sollte er jemals zu ihr zurückkehren wollen.
In der Folge versucht Bekman, Laura trotz ihrer kleinen Mängel aufrichtig zu lieben, er schlägt ihr vor, zusammenzuziehen und macht ihr schließlich sogar einen Heiratsantrag. Nach und nach merkt der Leser, dass etwas nicht stimmt, und irgendwann erkennt er, dass Sofia nur das Produkt von Bekmans Fantasie ist, eine Figur aus dem Roman, an dem er schreibt. Eigentlich sollte sie nur eine Nebenfigur sein, die Rezeptionistin in der Arztpraxis, die Senyor Bled – der eigentliche Protagonist des Romans – aufsucht, aber dann hat sie irgendwie ein Eigenleben entwickelt. und Bekman hat den ursprünglichen Roman liegen lassen und nur noch über die Liebe zwischen ihm und Sofia geschrieben. Das verärgert seine Literaturagentin und seinen Verleger, die vergeblich auf den Roman warten – aber auch für die anderen Figuren des Romans, zum Beispiel die Patienten, die mit Senyor Bled nun im Sprechzimmer des Arztes festsitzen. Sie vertreiben sich die Zeit, in der Bekman sie sozusagen in dieser Szene gefangen hält, damit, sich alternative Leben auszudenken, weggehen können sie nicht, da ihre Handlungen (nicht aber ihre Gedanken) komplett von ihrem Schöpfer abhängig sind.
Mittlerweile hat Bekman Laura geheiratet und schreibt weiter an seinem Roman über Senyor Bled, der erfährt, dass er nur noch wenige Wochen zu leben hat, und daher beschließt, einen willkürlichen Mord zu begehen. Er erschießt einen ihm völlig unbekannten Menschen und liegt kurz darauf sterbend und von schrecklichen Schmerzen geplagt im Krankenhaus.
Als sich in Lauras und Bekmans Ehe der Alltag einschleicht, kann Bekman der Versuchung nicht widerstehen, Sofia wieder auferstehen zu lassen. Wieder bleibt der ursprüngliche Roman liegen – was den armen Senyor Bled zu endloser Agonie verdammt – und wieder vergleicht Bekman die reale Laura mit der idealen Sofia und flüchtet sich mehr und mehr in die Fiktion. Doch die Wirklichkeit holt ihn unerbittlich ein: Laura macht ihm immer häufiger Vorwürfe und betrügt ihn schließlich mit ihrem besten Freund, die Literaturagentin und der Verleger lassen ihn fallen. Und je schwieriger Bekmans Realität wird, desto mehr entgleitet ihm auch seine Schöpfung: Für jede Enttäuschung im Alltag lässt er Sofia büßen, und die wird immer widerspenstiger. Schließlich entdeckt Laura sein Manuskript und setzt ihn vor die Tür, und Bekman erleidet einen Nervenzusammenbruch und landet in der Psychiatrie. Dort wähnt er sich im Wartezimmer der Arztpraxis seines Romans, dazu verdammt, darauf zu warten, dass jemand die Geschichte fortschreibt. Gleichzeitig taucht irgendwo in einem Dorf ein rätselhafter Zylinder mit geheimnisvollen Eigenschaften auf – ein extraterrestrisches Objekt? Bekman versucht, sich eine glückliche Existenz mit Sofia auszumalen, doch jede Fantasie verwandelt sich in einen Albtraum. Ab und zu erschüttern Explosionen, die nur Bekman wahrzunehmen scheint, das Wartezimmer, und er sieht kurz ein vage vertrautes Gesicht aufblitzen (im Nachhinein erfährt man, dass es sich um Elektroschocks handelt, mit denen Bekman behandelt wird). Als ihm eins Tages der Name zu diesem Gesicht einfällt und er „Laura“ ruft, bricht der Bann, und Bekman kehrt in die Wirklichkeit zurück. Zur Erholung fährt er in ein kleines Dorf, wo er seinen Roman beenden will. Und dort hört er eines Tages die Dorfbewohner über einen geheimnisvollen Zylinder reden … Bekman ahnt, dass er in einer neuen Fantasie gefangen ist, aber es gelingt ihm nicht, sich daraus zu lösen.
Novel·la ist ein raffiniertes, sehr unterhaltsames, aber auch beunruhigendes literarisches Spiel mit Realität und Fiktion, das in einem Zeitungsartikel mit Pirandellos „Sechs Personen suchen einen Autor“ verglichen wurde. Es ist erstaunlich, wie lange man sich als Leser an der Nase herumführen lässt, weil man ab dem Moment, in dem man einen Roman zur Hand nimmt, bereit ist, dem Autor erstmal alles zu glauben. Obwohl mir persönlich von Anfang an Sofias Vollkommenheit ebenso „unrealistisch“ erschien wie der Name von Bekmans bestem Freund – Dresden –, gelingt es dem Autor, das Vertrauen des Lesers in die Glaubwürdigkeit des Erzählten eine ganze Weile aufrecht zu erhalten und erst ganz allmählich zu unterhöhlen. Von da an fragt man sich natürlich bei allem, was man liest, ob das nun „in Wirklichkeit“ (und in welcher Wirklichkeit?) oder nur in der Fantasie des Protagonisten passiert. So ist Novel·la ein mindestens doppelbödiges Spiel, das durch die zunehmende Düsternis in der Beziehung zwischen Bekman und Sofia, durch die Situation, in der der Schöpfer sich mit seinen eigenen Figuren im Wartezimmer der Arztpraxis wie in einer Art Vorhölle gefangen wähnt, und durch das beunruhigende Ende etwas Beklemmendes hat. Ein äußerst empfehlenswertes literarisches Debüt.
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