Una casa junto al Tragadero (Ein Haus am Tragadero)
Autor: Mariano Quirós
Verlag: Editorial Minúscula, Barcelona, 2017, 161 Seiten
Genre: Literatur
Gutachterin: Ursula Bachhausen
Mariano Quirós‘ Roman Una casa junto al Tragadero erzählt von einem Aussteiger in den Wäldern der nordargentinischen Provinz Chaco und seinem Konflikt mit ein paar jungen Umweltaktivisten. Aber er erzählt auch davon, wie der Mensch trotz guter Absichten zu seinem eigenen Schaden in die Umwelt eingreift, wie nahe Gut und Böse beieinander liegen und dass all das im ewigen Kreislauf der Natur nur eine Randnotiz ist.
Der argentinische Autor Mariano Quirós (geboren 1979 im nordargentinischen Resistencia) ist in Europa noch wenig bekannt, auch wenn mehrere seiner Romane und Erzählungen bereits mit Literaturpreisen ausgezeichnet wurden. Sein jüngster Roman, Una casa junto al Tragadero, wurde mit dem XIII Premio Tusquets de Novela prämiert und ist im renommierten spanischen Verlag Tusquets erschienen, was dem Autor und seinem Werk künftig sicher größere Aufmerksamkeit bescheren wird. In Deutschland ist bislang noch kein Roman von Quirós erschienen.
In Una casa junto al Tragadero beschließt ein namenloser Ich-Erzähler, der von anderen El Mudo (der Stumme) genannt wird, einen radikalen Rückzug aus seinem bisherigen Leben in der Provinzhauptstadt Resistencia. Nach einem Ausflug in die Wälder der Provinz Chaco kehrt er nicht zurück, sondern lässt sich in dem verwahrlosten Haus einer Verstorbenen unweit des Flusses Tragadero nieder. Über seine Beweggründe lässt der Erzähler nicht nur den Leser im Unklaren. Auf der Suche nach Einsamkeit und Stille scheut er den Umgang mit anderen so sehr, dass er sich gegenüber den wenigen Menschen, mit denen er in der kleinen Siedlung Colonia Umgang hat – darunter der Besitzer des Ladens, bei dem er Vorräte kauft -, als stumm ausgibt. Er will sich nicht erklären, sondern einfach nur seine Ruhe haben. Doch das ist nicht so leicht, wie es sich dieser argentinische „Walden“ vorstellt.
In zwei alternierenden Erzählsträngen beschreibt der Ich-Erzähler zum einen die dramatische Kaskade von Ereignissen, die ausgelöst wird, als er versehentlich, durch das plötzliche Gebell seines Hundes erschreckt, einen unter Naturschutz stehenden Affen erschießt und dabei vom Sohn seines Rivalen Soria, einem anderen zurückgezogen lebenden Waldbewohner, beobachtet und mutmaßlich bei Umweltaktivisten angeschwärzt wird. Noch am gleichen Abend tauchen am anderen Ufer des Tragadero junge Leute auf, die, wie das Logo auf ihrem Auto verrät, der Umweltbewegung angehören. In einem verlassenen Haus feiern sie lautstark und ausgelassen, sodass sich der Ich-Erzähler durch ihre Anwesenheit massiv gestört fühlt. Zugleich abgestoßen und angezogen von ihrer lärmenden Lebensfreude beobachtet er sie. Als alle zu schlafen scheinen, schleicht er sich heran, wird jedoch von einem der ihren überrascht. Nach einem kurzen Handgemenge stürzt der junge Aktivist unglücklich auf den Grill und ist tot. Der Ich-Erzähler zerstört die Zündkabel im Auto der jungen Leute, klaubt ihre Handys zusammen und kehrt, in der Erwartung, nun vor ihnen Ruhe zu haben, an sein Ufer zurück. Doch die Hoffnung trügt. Sein „Nachbar“ und Rivale Soria, ein Einsiedler wie er, der ihn offenbar ebenso als Eindringling erachtet wie der Erzähler ihn, überwältigt ihn, um ihn den jungen Aktivisten auszuliefern.
Allerdings gerät es zum Fiasko, als zwei der jungen Leute gemeinsam mit Sorias Sohn den Fluss auf einer alten Seilfähre überqueren wollen. Als das verwitterte Stahlseil reißt, fällt die junge Frau über Bord und taucht nicht wieder auf. Die ohnehin schon angespannte Situation spitzt sich zu, als zwei der Aktivisten, die zu Fuß Hilfe holen wollten, resigniert zurückkehren, weil es ihnen nicht gelingt, den Weg aus der Wildnis herauszufinden. Sie nehmen den Ich-Erzähler sowie Soria und dessen Sohn gefangen, Verzweiflung schlägt um in Aggression und Brutalität. Zum großen Showdown kommt es, als ein Unwetter ausbricht und sich die Gruppe ins Haus des Ich-Erzählers rettet. Hier mischt sich nun in die ansonsten reale, aber durch die Ich-Perspektive stets subjektive Erzählung ganz unaufgeregt der Hauch einer an Autoren wie Borges, Bioy Casares oder Cortázar erinnernde Fantastik, als sie dort auf die toten Aktivisten und die verstorbene frühere Hausbesitzerin treffen. Als der Erzähler am nächsten Morgen erwacht, sind alle fort. Allein mit seiner Hündin geht er den Weg ab, den die Gruppe am Vorabend genommen hat, und entdeckt am Wegrand seine Flinte. Er hebt sie auf und blickt zu einem Affen empor. Als ihn das Bellen seines Hundes erschrickt, löst sich ein Schuss, und der Affe fällt, wie am Vortag, tot vom Baum.
In einem zweiten, retardierenden Erzählstrang breitet der Ich-Erzähler in den jeweils alternierenden Kapiteln die Vorgeschichte aus: seine bereits viele Jahre zurückliegende Anfangszeit im Wald, seine Freundschaft zum Ladenbesitzer Insúa, seine Freude daran, wichtige Ereignisse zeichnerisch festzuhalten, seine Rivalität mit Soria und eine frühere Konfrontation mit Naturschützern, die ihm zu Leibe rücken, als er nichtsahnend Jagd auf Affen macht. Während der erste Erzählstrang chronologisch erzählt wird und schließlich überraschend in eine Kreisstruktur mündet, schildert dieser zweite Erzählstrang einzelne Begebenheiten, die zeitlich nicht verortet werden. Erst mit fortschreitender Lektüre setzt sich nach und nach ein Bild zusammen, wie sich der Eigenbrötler in seiner selbstgewählten Robinsonade einrichtet und sich zugleich doch nach einer Harmonie und Eintracht sehnt, wie er sie im Zusammenleben seiner Nachbarsfamilie zu erkennen glaubt, die er ohne ihr Wissen beobachtet.
Die Natur ist der wahre Protagonist des atmosphärisch dichten Romans. Sie ist allgegenwärtig, mal in ihrer Vielfalt und Schönheit, mal in der Gnadenlosigkeit, in der nur das Recht des Stärkeren zählt. Und so erzählt Una casa junto al Tragadero vom Kreislauf der Natur, in der alles mit allem zusammenhängt und in der das Eingreifen des Menschen selbst bei den allerbesten Absichten nicht immer zu seinem Vorteil ist. (Versinnbildlicht etwa in den im Fluss eigentlich nicht heimischen Alligatoren, die ursprünglich vom Ladenbesitzer als Haustier gehalten, auf Betreiben von Naturschützern aber ausgewildert wurden und schließlich nicht nur den Hund des Ich-Erzählers verstümmeln, sondern wohl auch für das Verschwinden der Aktivistin in den Fluten des Flusses verantwortlich sind.)
Der Tragadero, heißt es im Roman, sei ein Fluss mit einer sachten Strömung, der gemächlich mäandere. Doch harmlos ist er mitnichten: Der Tragadero verschlingt alles, was sich ihm unvorsichtig nähert. Genauso ist auch Una casa junto al Tragadero: Unaufgeregt fließt der Roman dahin und entwickelt doch eine hypnotische Sogkraft, der sich der Leser nicht entziehen kann.
Fazit: Ich empfehle den Roman unbedingt zur Übersetzung ins Deutsche.
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