Vestidas para un baile en la nieve (Gekleidet für einen Tanz im Schnee)
Autorin: Monika Zgustova
Verlag: Galaxia Gutenberg, Barcelona 2017, 269 Seiten
Gutachterin: Silke Kleemann
Zusammenfassung
Monika Zgustova führte über neun Jahre Gespräche mit Frauen, die sowjetische Gulags überlebt haben. Dieses Buch protokolliert ihre Interviews und zeichnet die eindrucksvollen Lebenswege der Porträtierten nach.
Hintergrundinformation
Monika Zgustova wurde 1957 in Prag geboren und studierte in den USA, lebt aber schon seit den 1980er Jahren als Übersetzerin, Schriftstellerin und Journalistin in Barcelona. Sie hat über sechzig Werke aus dem Tschechischen und Russischen ins Spanische und Katalanische übersetzt, darunter so große Namen wie Milan Kundera, Václav Havel, Anna Achmatowa und Marina Zwetajewa. Außerdem hat sie sechs eigene Romane veröffentlicht, für die sie wie auch für ihre Übersetzungen mehrere Preise gewonnen hat. Ihre Bücher sind in neun Sprachen übersetzt, auf Deutsch liegt bisher Im Paradiesgarten der bitteren Früchte (Suhrkamp 2001) vor, eine Biographie über den Schriftsteller Bohumil Hrabal in Romanform.
Das vorliegende Buch ist unter dem Titel Dressed for a dance in the snow 2020 in englischer Übersetzung erschienen (Other Press, Random House).
Inhalt
Monika Zgustova hat über einen Zeitraum von neun Jahren Gespräche mit neun Frauen geführt, die einen Aufenthalt in einem russischen Gulag überlebt haben. Die Gründe für die Inhaftierungen waren verschieden, bei manchen war es aufgrund von eigenem politischen Engagement, teils aber auch nur wegen eines Verwandtschaftsverhältnisses zu Dissidenten oder sogar allein wegen einer unliebsamen Nationalität. Die meisten der Frauen wurden im Rahmen der stalinistischen Säuberungsaktionen zwischen Anfang der 1940er bis in die 1950er hinein zur Zwangsarbeit ins Gulag geschickt; eine der Frauen, die bekannte Dissidentin Natalja Gorbanewskaya, wurde jedoch erst 1968 verhaftet, als sie vor dem Kreml gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag protestierte. Fast alle der Frauen beklagen die große Willkür des Regimes, sie fühlten sich völlig abhängig von der absoluten Machtausübung durch die Herrschenden und den Geheimdienst KGB.
Die neun Kapitel sind sehr unterschiedlich und nicht unbedingt linear in ihrer Erzählweise. Das ist eine der Stärken des Buchs: Es ist spürbar, dass Monika Zgustova ihre Transkriptionen der Gespräche sehr eng am ursprünglichen Gesprächsverlauf angelegt hat. Zwischendrin streut sie eigene Beobachtungen zu ihren Interviewpartnerinnen ein oder füllt historisch notwendige Informationen für die Leser*innen ein, aber grundsätzlich wird erzählt, was sie im Interview protokolliert hat.
Absolut beeindruckend ist der Lebenswille und die grundsätzlich positive und kämpferische Einstellung, die die interviewten Frauen zeigen, die zum Zeitpunkt der Gespräche ja großteils schon jenseits der 70 waren und durch die Gulag-Erfahrungen auf ihrem Lebensweg und auch in der persönlichen Gesundheit teils stark eingeschränkt worden waren. Einige meinen sogar, dass sie die Zeit im Gulag nicht würden missen wollen, weil sie erst dort wahre Menschlichkeit kenngelernt hätten. Trotz der Empörung über die Umstände und die persönliche Gegenwehr fand ich in den Beschreibungen immer wieder einen hohen Grad an Anpassungsfähigkeit, vielleicht auch Stoizismus erstaunlich, den man vielleicht mit „an Leid gewöhnt“ beschreiben könnte; tatsächlich waren einige der Interviewten schon die dritte Generation von Familienmitgliedern, die Verfolgung erlitt. Allen Frauen gelang nach ihrer Freilassung eine Weiterführung der eigenen beruflichen Tätigkeit, als Ärztinnen, Wissenschaftlerinnen, Lehrerinnen, Dichterinnen, die meisten hatten eine Familie, manche haben ihre Partner sogar im Gulag kennengelernt.
Außerdem spielt die Kunst eine große Rolle in den Erzählungen der Frauen. Immer wieder betonen sie, wie es ihnen geholfen hat, in der Gefangenschaft Gedichte auswendig zu lernen oder selbst welche zu erdenken, oder gemeinsam Theateraufführungen auf die Beine zu stellen. Kunst als Ausdruck dafür, auf die eigentliche Menschlichkeit zu beharren. Eine der Frauen wuchs als Kind einer Inhaftierten in einem Gulag auf – sie hat immer noch die aus geringsten Mitteln selbstgebastelte Ausgabe von Rotkäppchen, die die Insassen für sie und andere Kinder hergestellt hatten. Für andere Frauen war die Korrespondenz ein Lebenselixier, so für Ariadna Efron-Zwetajewa, deren Briefe an Boris Pasternak Monika Zgustova bei einer ihrer Interviewpartnerinnen einsehen konnte. Auch in der Erzählung von Irina Jemeljanowa spielt Pasternak wieder eine Rolle, sie ist die Tochter von Pasternaks Geliebter Olga Iwinskaja, der die Lara in seinem berühmten Roman Doktor Schiwago nachempfunden ist. Olga wie auch Irina wurden vom KGB bedrängt, um Pasternak unter Druck zu setzen; für Irina bedeutete das, dass ihr französischer Freund des Landes verwiesen wurde, nachdem man zuerst versucht hatte, ihn zu vergiften.
Dies sind nur einige Einblicke in die durch die Bank sehr beeindruckenden Lebensgeschichten. Der Titel des Bandes rührt daher, dass die Verhaftungen jederzeit erfolgen konnten, häufig mitten in der Nacht. Eine der Frauen, Zayara Vesiolaya, wurde mitten aus einer Feier mit Studienfreunden wegen einer bestandenen Prüfung verhaftet – folglich hatte sie im Gefängnis und später auf der Reise ins sibirische Gulag dann nur ihre hohen Schuhe und den kurzen Rock an.
In der Mitte des Buchs ist ein Bildteil eingefügt mit Fotos aller Frauen, meist ein altes Bild aus der Zeit vor dem Gulag, und ein aktuelles. Eine sehr schöne Ergänzung, die die Geschichten noch lebendiger werden lässt.
Bewertung
Vor der Lektüre dieses Buchs wusste ich nicht viel über die Gulags in der Sowjetunion. Durch die neun Erlebnisberichte der betroffenen Frauen hat sich mir ein guter und bedrückender Überblick eröffnet; über die persönlichen Schicksale hinaus auch über Grundsätzlichkeiten des Systems und die unmenschlichen Zustände in den Lagern, die häufig in sehr unwirtlichen Gegenden, teils sogar jenseits des Polarkreises lagen und wo in der Eiseskälte härteste Zwangsarbeit gefordert wurde. Für die Frauen gab es zusätzliche Schwierigkeiten durch sexuelle Belästigung und Vergewaltigungen, auch das klingt immer wieder durch. Ich habe keinen genauen Überblick über Publikationen zu den Gulags, die bereits auf Deutsch vorliegen; habe aber keinerlei Zweifel, dass die auf die Frauen fokussierende Betrachtung von Monika Zgustova, die dabei weitgehend den Frauen selbst das Wort überlässt, eine Bereichung darstellen wird. Das gewählte Format der Interviews ist sehr aussagekräftig, und – ein wenig überraschend – auch ein enormes Zeugnis für die Resilienz der Frauen. Trotz schrecklicher Umstände betonen sie immer wieder positive Momente, den Wert von Freundschaft und Zusammenhalt, oder auch die Kraft, die die Beobachtung der Natur ihnen zu schenken vermochte, in winzigen Momenten der Flucht vor dem unmenschlichen Arbeitspensum.
Mir gefällt auch, dass Monika Zgustova selber als Person spürbar wird, indem sie miterzählt, wie ihre Besuche bei den Frauen abgelaufen sind und wie deren aktuelle Lebensumstände auf sie wirken. Mit Vestidas para un baile en la nieve ist ihr ein wichtiges und gründlich recherchiertes Zeitdokument gelungen, das ich gern für die Übersetzung ins Deutsche empfehlen möchte.
Hinweis auf Übersetzungsmöglichkeiten
Für die Übersetzung wäre es unbedingt wünschenwert, eine Übersetzerin oder einen Übersetzer zu beauftragen, die oder der neben dem Spanischen auch das Russische beherrscht. Kenntnisse der russischen Sprache wären allein für die korrekte Transkription der Orts- und Personennamen sehr hilfreich, und unablässig, um den gesamten historischen und kulturellen Hintergrund angemessen übertragen zu können.
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