Zusammenfassung
Ein informatives, spannendes Sachbuch, das faszinierende Zusammenhänge über Pathologie und Evolution des Menschen erschließt und sie auch Laien unkompliziert nahebringt. Anhand der augenscheinlichen Mängel der Spezies Mensch wird der Bogen zu unseren urzeitlichen Vorfahren geschlagen und erklärt, warum gerade in ihnen so wichtige Schlüssel unserer evolutionären Adaptationsstrategie zu finden sind – und wie viel steinzeitliche Eigenschaften nach wie vor unser Dasein bestimmen. Sehr empfehlenswert in einer Zeit, die geprägt ist von Perfektionismus, Gesundheitswahn und Unsterblichkeitsphantasien.
Hintergrundinformationen
María Martinón-Torres (Ourense, 1974) ist promovierte Medizinerin und Chirurgin mit Spezialisierung auf menschliche Evolution und forensische Anthropologie. Derzeit ist sie Direktorin des Centro Nacional de Investigación sobre la Evolución Humana (CENIEH) und Honorarprofessorin in der Fakultät für Anthropologie am University College London. Seit 1998 forscht sie an der Ausgrabungsstätte Atapuerca.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Entwicklung der ersten Hominiden in Asien und Europa sowie die Paläopathologie, die prähistorisch-anthropologisch orientierte Untersuchung von Krankheitsbildern und degenerativen Veränderungen. Homo imperfectus ist ihr erstes eigenes Sachbuch, zuvor hat sie bei zahlreichen Sach- und Fachbüchern über Anthropologie und Evolution als Co-Autorin mitgewirkt.
Inhalt
Was haben Alzheimer und Diabetes mit der Langlebigkeit des Homo Sapiens zu tun? Warum ist die Figur der Oma evolutorisch gewollt? Weshalb leiden so viele Menschen unter Phobien, Schlafstörungen und Allergien? Und was hat es mit dieser merkwürdig komplizierten Phase der Adoleszenz auf sich?
Homo imperfectus befasst sich mit jeweils verschiedenen Aspekten der biologisch bedingten Unzulänglichkeit des Menschen. Dabei liegt dem gesamten Buch die Frage zugrunde, ob die Evolution nicht ein einziger "Pfusch" sei, da der Mensch nach all den Jahren der Selektion immer noch unter so vielen Schwächen, Krankheiten, Allergien und psychischen Störungen leide. Unter dem Prisma der Evolutionsmedizin analysiert María Martinón-Torres Tod, Alter, Angst, Schlafstörungen, Krebs, Infektionen, Pandemien, Teenagerjahre, Ernährung, Nahrungsmittelunverträglichkeit, Gewalt und das Bewusstsein über den eigenen Tod. Sie zeichnet jeweils die biologischen Ursachen dieser Phänomene nach und erklärt daran, wie diese Defekte entstehen, warum sie evolutionspraktisch oft sinnvoll sind und warum wir es ohne sie als Spezies wohl kaum auf unsere jetzige Entwicklungsstufe hätten bringen können. Die Krankheit werde, so die Autorin, meist als Ausnahmezustand begriffen, als etwas Negatives. Das Verständnis der biologischen Gründe und des evolutionären Vorteils, den gewisse Krankheitsbilder mit sich gebracht haben, erlaubt es jedoch dem Leser, den Blick auf die menschliche Spezies und die eigenen Imponderabilien zu erweitern und somit nachzuvollziehen, weshalb viele der von uns als Strafe betrachteten Umstände durchaus in unserem Sinne sind und tatsächlich uralte Überlebensstrategien in sich tragen.
Sprache/ Stil
Das Buch ist gut und verständlich geschrieben, der Aufbau nach Themen lässt es auch zu, einzelne Kapitel unabhängig voneinander zu lesen, da sie jeweils in sich geschlossen sind. Der Ton ist trotz der auf den ersten Blick ernsten Thematik gut gelaunt und neugierig. Sympathisch ist auch die Literaturaffinität der Autorin: Jedes Kapitel wird mit einem Verweis auf ein Werk der Literatur eingeleitet, in dem das zu besprechende Problem einführend dargestellt wird. Als Einstimmung und Grundlage für die nachfolgenden Erklärungen ist dies ein sehr angenehmer Einstieg zum jeweiligen Thema und fungiert gleichzeitig als ungeordneter und persönlicher Streifzug durch die Literaturgeschichte.
Bewertung
Homo imperfectus ist ein faszinierender Ausflug in die menschliche Biologie und Geschichte, eine leicht zugängliche Lektüre, die zu einem besseren Verständnis für den Menschen als Spezies – auch in Abgrenzung zu anderen Säugetieren und Arten – beiträgt. Der Bejubelung des Sapiens als Krone der Schöpfung wirkt die Konzentration auf dessen Defizite erfrischend entgegen, auch wenn das Fazit der Analyse letztendlich immer ein positives ist – nicht nur der biologische Nutzen der Mängel, sondern auch deren evolutionäre Einzigartigkeit werden hier gerne fröhlich unterstrichen. Doch gerade in Zeiten von Gesundheitswahn und Unsterblichkeitsphantasien ist ein Buch, das den Menschen auf optimistische Art in seine biologischen Schranken weist, sinnvoll. Nicht zuletzt erschließt es den Lesern komplexe Zusammenhänge auf verständliche Art und Weise, und bietet somit ein praktisches Handbuch zum besseren Verständnis der eigenen, ganz individuellen Kondition. Die Geschichte der Menschheit wird gerne anhand ihrer Erfolge und der Zelebration des Fortschritts erzählt – der Fokus auf ihre ureigenen Fehlfunktionen als anzestrale Überbleibsel ist hier eine schöne Abwechslung. Nicht zuletzt, da so auch die Frage aufgeworfen wird, inwiefern der Mensch in seiner oft steinzeitlichen Funktionsweise mit seiner modernen Umgebung überhaupt noch im Einklang ist.
Übersetzungsmöglichkeiten
Das Buch ist sehr empfehlens- und übersetzenswert. Es spricht ein breites Publikum an und kann dies durch ein gutes Gleichgewicht von Anspruch und Unterhaltsamkeit auch halten. Leser von Oliver Sacks und Yuval Harari werden bei dem Titel bestimmt aufhorchen.
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